Die globale Überwachung

Am 1. Dezember 2012 erhielt Glenn Greenwald zum ersten Mal eine Nachricht von Edward Snowden, ohne zu wissen, dass sie von ihm stammte. Viel ist seitdem veröffentlicht worden - und das Wissen um die totale Überwachung ist ins Bewusstsein vieler gedrungen. Jetzt hat Glenn Greenwald ein Buch über die Ereignisse geschrieben.

Erstes Treffen in Hongkong

Ein Mann, der sich "Cincinnatus" nannte, wollte mit Glenn Greenwald Kontakt aufnehmen, aber nur unter der Bedingung, dass Greenwald seine Online-Kommunikation verschlüsselte. Der Journalist aber, der unter anderem über WikiLeaks, Whistleblower und Hacker geschrieben hatte, sah zunächst keine Notwendigkeit, Zeit für die Installation eines komplizierten Verschlüsselungsprogramms zu opfern. Erst als ihm die Dokumentarfilmerin Laura Poitras berichtete, anonyme E-Mails erhalten zu haben von jemandem, der behauptete, Dokumente der höchsten Geheimhaltungsstufe zu besitzen, aus denen hervorgehe, "dass die amerikanische Regierung ihre Bürger und den Rest der Welt bespitzle", war schlagartig sein Interesse geweckt.

Beide, Laura Poitras und Glenn Greenwald, waren von der Glaubwürdigkeit des anonymen Informanten überzeugt, der offenbar bereit war, seine Freiheit aufs Spiel zu setzen, um brisantes Material ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Zum Beispiel über ein Programm namens PRISM, das es der NSA, der National Security Agency, ermöglichte, direkt auf die Server der größten Internetkonzerne der Welt zuzugreifen und massenhaft private Kommunikationsdaten zu sammeln. Greenwald, der inzwischen ein Verschlüsselungssystem auf seinem Computer hatte, nahm Kontakt zu dem Unbekannten auf - und erhielt die Aufforderung: "Kommen Sie sofort nach Hongkong."

Glenn Greenwald: "Das erste Mal, dass mir die Tragweite dieser Geschichte bewusst wurde, war auf dem Flug nach Hongkong, als ich mich zum ersten Mal in das Archiv von Dokumenten einarbeitete, das Snowden uns gegeben hatte. Das waren nicht ein paar Dutzend, es waren Tausende Dokumente, sehr brisante, die man offensiv würde übermitteln müssen. Mir wurde klar, welche Bedeutung diese Veröffentlichung haben würde – für mein Leben und für die ganze Welt."

Kein Profit für Snowden

Das erste Drittel seiner Reportage über den "Fall Snowden, die amerikanischen Geheimdienste und die Folgen", wie Glenn Greenwalds soeben erschienenes Buch im Untertitel heißt, liest sich wie ein wahrer Spionagethriller: da gibt es Luxushotels, Versteckspiele und kryptische Begriffe, den unerschrockenen Whistleblower, die wilde Medienmeute und den skrupellosen Staatsapparat. Der Fall Snowden, wie ihn Greenwald zeigt, ist zugleich ein exemplarischer Fall, ein Lehrstück über Courage des Einzelnen und Hysterie des Staates, servilen und mutigen Journalismus, Einschränkung der Freiheit und Torpedierung von Grundrechten.

"Ich will eine weltweite Debatte über Privatsphäre, Freiheit im Internet und die Gefahren staatlicher Überwachung anstoßen", erklärte Snowden, der Experte für Cybersicherheit, der als ehemaliger Mitarbeiter von NSA und CIA genauen Einblick in die täglichen Überwachungsaktivitäten dieser Behörden hatte.

Anfang Juni 2013 traf der Journalist erstmals seinen Informanten im Mira Hotel in Hongkong. Greenwald erwartete einen älteren Herrn am Ende seiner Karriere, der nichts mehr zu verlieren hatte, und war nicht schlecht erstaunt, einen ziemlich dünnen und blassen, mit Jeans und T-Shirt bekleideten jungen Mann zu treffen, der auf die Fragen des Journalisten "präzise, klar und überzeugend" antwortete. Snowden dachte "überaus methodisch", so Greenwald. "Seine unerschütterliche Haltung und Fokussiertheit flößten Vertrauen ein."

"Ich glaube, am besten beschreibt man ihn als jemand, der unglaublich rational und zugleich sehr selbstbewusst ist", so Greenwald. "Er hat nicht nur feste Überzeugungen, er tritt auch für diese ein. Es geht ihm dabei nicht um Selbstdarstellung. Er hat sich nicht in die Medien gedrängt. Im Zentrum sollten seine Enthüllungen stehen, nicht er selbst. Er hat aus diesen Aufdeckungen in keinster Weise Profit geschlagen, er hat vielmehr sein ganzes Leben daran gesetzt, diese Informationen in die Welt zu bringen. Denn er sieht die Gefahr, die von der amerikanischen Regierung ausgeht – die Gefahr nicht nur für unsere Privatsphäre, sondern für die Demokratie: dass die Regierung heimlich ein gewaltiges System errichtet, ohne das Wissen ihrer Bürger."

Journalistisch aufbereitete Dokumente

Zehn Tage verbrachte Greenwald in Hongkong, sprach mit Snowden, drehte mit Poitras ein Video über ihn, sichtete die Dokumente und verfasste Artikel für den "Guardian" - Artikel, die wie eine Bombe einschlugen. Snowden, der den etablierten Medien misstraute, hatte es den beiden von ihm ins Vertrauen Gezogenen überlassen zu entscheiden, welche Storys veröffentlicht werden sollten, in welcher Reihenfolge und in welcher Form. Er verlangte nur, das Material journalistisch aufzuarbeiten, also durch Erläuterungen zu ergänzen, und sicherzustellen, dass durch die Veröffentlichung keine Unschuldigen zu Schaden kommen.

"Er hatte eine ganz klare Vorstellung davon, wie er das Material übermittelt haben wollte", sagt Greenwald. "Wenn es nur darum gegangen wäre, Dokumente online zu stellen – und zwar alles auf einmal -, dann hätte er nicht uns dazu gebraucht. Er glaubte, der beste Weg, eine wirkliche Debatte auszulösen wäre, die Dokumente nach und nach zu veröffentlichen unter Einbeziehung journalistischer Institutionen, die sich darauf verstehen, komplizierte Informationen allgemeinverständlich darzulegen."

"Collect it all!"

Der Mittelteil des Buches präsentiert Fakten, Listen und Schaubilder zur amerikanischen Ausspähung, gibt Einblick in die Programme und Strukturen der NSA und warnt vor den Gefahren der Massenüberwachung. "Warum können wir nicht alle Daten sammeln, immer und jederzeit?" Dieses Zitat steht am Beginn dieses Abschnitts, es stammt von Keith Alexander, bis Anfang dieses Jahres Direktor der NSA, der die Devise ausgab: "Collect it all!" "Die NSA zapfte Internetserver, Satelliten, Unterseekabel, amerikanische wie ausländische Telefondienste und Personal Computer an". So wurden einmal innerhalb von einem Monat "Datensätze von über 97 Milliarden E-Mails und 124 Milliarden Telefondaten aus der ganzen Welt gesammelt". Ausgespäht wurden dabei nicht nur mutmaßliche Terroristen und Kriminelle, sondern auch "Dutzende anderer Staaten weltweit", aber auch ganz gewöhnliche amerikanische Bürger - "ohne dass Verdachtsmomente vorlagen".

Die Bekämpfung des Terrorismus als Begründung dafür ist absurd. Viele der erfassten Daten haben mit nationaler Sicherheit nichts zu tun, eher mit Wirtschaftsspionage oder dem Interesse an den Aktivitäten ausländischer Regierungschefs und Diplomaten.

Greenwald prangert die Selbstherrlichkeit der amerikanischen Regierung an. Ausgerechnet Obama, der angetreten sei mit dem Versprechen, die Fehler seines Vorgängers zu korrigieren, habe den Überwachungsstaat forciert - und damit einen gefährlichen Trend: "die Ausübung grenzenloser Macht ohne jede Transparenz oder Rechenschaftspflicht".

"Wenn Sie in der Lage sind, alles über andere Leute herauszufinden, vor allem, wenn diese nichts davon mitkriegen, weil Sie das im Geheimen tun, entsteht ein immenses Ungleichgewicht der Macht. Sie gewinnen eine ungeheure Macht über das Volk, wenn Sie es überwachen. Deswegen wird Überwachung, seitdem es Unterdrückung gibt, auch von jedem Unterdrückungsregime genutzt. Aber es steckt auch ein wirtschaftliches Motiv hinter der Überwachung. Und ein institutioneller bürokratischer Zwang. Wenn man eine Institution gründet und mit Geld füttert, wie es nach Nine/Eleven geschehen ist, schaukeln sich Profitstreben und Bürokratie gegenseitig hoch - und das führt dazu, dass immer mehr an Daten gesammelt wird, auch wenn der eigentliche Grund dafür gar nicht mehr existiert."

Die vierte Gewalt im Staat

Im letzten Abschnitt beschäftigt sich Greenwald mit der Rolle der Medien als "vierter Gewalt" - mit der Frage, ob sie ihrer Funktion als kontrollierender Instanz tatsächlich gerecht werden – und erzählt dabei auch von persönlichen Erfahrungen mit Journalisten. Schon im Abschnitt über seine Zeit mit Snowden in Hongkong hat sich Greenwald als ungeduldig und unnachsichtig gegenüber Chefredakteuren und anderen gezeigt, viele sind ihm einfach zu ängstlich, angepasst und regierungstreu. Kollegen arbeiteten immer wieder mit persönlichen Diffamierungen und Hetzkampagnen gegen ihn. Und statt sich mit den Enthüllungen der Whistleblower zu beschäftigen, würden sie diese nicht selten als Spione oder gestörte Persönlichkeiten bezeichnet. Er berichtet, dass der britische Geheimdienst die Londoner Redaktion des "Guardian" unter Druck setzte, die zwar nicht die verlangten Dateien von Snowden herausgab, aber mehr oder weniger freiwillig die Festplatten ihrer Computer zerstörte.

Wenn es um die Interessen der amerikanischen wie auch der britischen Regierung gehe, gäbe es "weder ethische noch rechtliche oder politische Tabus", sagt Greenwald, der dennoch keine frustrierende Bilanz zieht. Der Fall Snowden habe "weltweit ein beispielloses Interesse an der Bedrohung durch elektronische Massenüberwachung und an der Bedeutung der Privatsphäre im digitalen Zeitalter ausgelöst", er habe den Sinn des aberwitzigen Datensammelwahns hinterfragt und Reformvorschläge angeregt.

Snowdens ursprüngliche Befürchtung, dass die Menschen seine Enthüllungen zur Kenntnis nehmen und "mit einem Achselzucken darüber hinweggehen, dass sie sagen: 'Das haben wir uns schon gedacht, das kümmert uns nicht'", diese Befürchtung erwies sich als unbegründet. "Ich weiß, er ist extrem zufrieden. Wenn man das, was wir damals in Hongkong im besten Fall zu erreichen hofften, mit dem vergleicht, was inzwischen passiert ist, dann übertrifft das unsere kühnsten Erwartungen. Oft sind wir verblüfft, wie gut sich alles entwickelt hat. Dass das Interesse an dieser Geschichte und die Debatte, die sie weltweit ausgelöst hat, ein Jahr nach der ersten Enthüllung viel stärker ist je zuvor – das ist genau das, was sich Snowden gewünscht hat."

Kampf um digitale Weltherrschaft.

"In einer Welt ohne Privatsphäre und ohne Freiheit, in der die einzigartigen Möglichkeiten des Internets ausgelöscht werden, möchte ich nicht leben", so zitiert Glenn Greenwald Edward Snowden in seinem Buch "Die gobale Überwachung", einem ernüchternden, ja erschütternden und phasenweise sehr spannend zu lesendem Buch, das deutlich macht, dass neben die Geopolitik längst so etwas wie "Digipolitik" getreten ist: der Kampf um die digitale Weltherrschaft.

So beschäftigt die NSA neben ihren eigenen 30.000 Mitarbeitern mehr als 60.000 Menschen bei Technologie- und Militärberatungsunternehmen und kooperiert außer mit anderen amerikanischen Behörden eng mit den Geheimdiensten in Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland. Dass man dieser übermächtig erscheinenden Überwachungsmaschine dennoch die Grenzen aufzeigen kann, beweist ein Mann, der einst als "Cincinnatus" in Glenn Greenwalds Leben trat und dessen spektakuläre Geschichte Greenwald beinahe verpasst hätte: Edward Snowden, der, so Greenwald, "ein Leitbild" geschaffen habe, "das andere anregen kann" und der mit "einer einzigen Tat (...) im wahrsten Sinn des Wortes den Lauf der Geschichte verändert" habe.

Service

Glenn Greenwald, "Die globale Überwachung. Der Fall Snowden, die amerikanischen Geheimdienste und die Folgen", übersetzt von Thomas Wollermann, Maria Zybak und Robert A. Weiß, Droemer Verlag