Bibelkommentar zu Johannes 20, 19 - 23

In der Katholischen Kirche wird derzeit intensiv über Mission nachgedacht. Mission ist ein geschichtlich belastetes Wort. Zwangsbekehrungen mit dem Schwert fallen mir dazu ebenso ein wie die unsägliche Judenmission, die die Katholische Kirche mit dem Zweiten Vatikanum endgültig untersagt hat.

Dennoch gehört Mission grundlegend zur Kirche. Mission bedeutet Sendung: Wozu ist die Kirche gesendet? Worin besteht ihr Auftrag? Was ist ihre Aufgabe? Das sind die Fragen, über die Christinnen und Christen heute neu nachdenken müssen, denn das traditionelle Missionsverständnis - andere vom eigenen Glauben überzeugen wollen – ist geschichtlich desavouiert.

Die Mission der Kirche hat Europa viel Gutes gebracht, keine Frage. Ich erwähne hier exemplarisch die Humanisierung der Ethik, das Bewusstsein für die soziale Frage, die Entstehung von Bildungseinrichtungen. Aber Christinnen und Christen müssen auch bekennen, dass die Ausbreitung des christlichen Glaubens begleitet war von Gewalt und Unterdrückung, insbesondere von Anders- und Nichtgläubigen: von Menschen, die Ketzer genannt wurden, von Juden, von Atheisten. Zudem mussten ein humanes Ethos und Menschenrechte, wie wir sie heute kennen, oft auch gegen die Kirche erkämpft werden - man denke nur an die Religionsfreiheit. Heute ist außerdem klar, dass auch andere Religionen und Weltanschauungen einen wesentlichen Beitrag zur Humanisierung und Zivilisierung Europas beigetragen haben und beitragen können.

Was also kann angesichts dieser Geschichte und Situation die Mission der Kirche heute sein? Die Heilige Schrift gibt dazu viele Anregungen: gemeinsamer Einsatz der Menschheit für Gerechtigkeit und Frieden in der Welt; Heilung der Kranken und Verantwortung für die gesellschaftlich Marginalisierten; Verkündigung des Wortes Gottes, das allen Menschen Gottes Reich verheißt und in vielen Geschichten beschreibt, wie dieses heute schon Wirklichkeit werden kann, den christlichen Weg als Lebensmodell anbieten, das zu gutem Leben führt.

Eine solche Aufgabe - Sendung - nennt das heutige Evangelium: Jesus sendet seine Apostel, um Sünden zu vergeben: "Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert." Das klingt in meinen Ohren schon beinahe anmaßend: Denn am Ende der Tage ist es Gott, der Sünden vergibt und Menschen richtet – so der biblische Glaube. Aber: Zum einen steht hier ja eben gerade NICHT, dass Menschen einander richten sollen, sondern eben Sünden VERGEBEN sollen. Zum anderen tut dies auch Jesus von Nazareth nicht aus eigener Kraft. Er spricht als von Gott Auferweckter. Als solcher verweist er auf den, der ihn sendet: auf Gott. Und als Gesendeter hat er Anteil an der Macht Gottes, Sünden zu vergeben. Darin besteht die befreiende und ermutigende Botschaft des Evangeliums: Sie sollen nicht nur, sie KÖNNEN Sünden vergeben. Der Auferweckte lässt seine Apostel teilhaben an dieser Macht. Ich höre das als große Zusage und als erstaunliches Zutrauen, das Gott in mich setzt: Ich kann anderen Sünden vergeben. Zugleich nehme ich auch die Macht und die Verantwortung wahr, die mir damit übertragen werden: denn wem ich nicht vergebe, dem ist auch vor Gott nicht vergeben. Wie groß denkt Gott von mir? Was traut er mir damit zu? - Wenn Menschen einander dank der Liebe Gottes Sünden vergeben können, können sie einander eine Ahnung von der Vergebungskraft Gottes eröffnen. Auch das kann die Mission der Kirche sein.