Helmut Ortner über die Todesstrafe

Das Buch vom Töten

In Europa ist sie abgeschafft, in den USA, China, im Iran, in Saudi-Arabien und anderen islamischen Ländern wird sie immer noch vollstreckt: die Todesstrafe. Helmut Ortner hat die Rituale der Vergeltung in seinem "Buch vom Töten. Über die Todesstrafe" beschrieben.

Kreuzigung, Pfählung, garottieren, verbrennen, ertränken, steinigen, lebendig begraben, rädern, köpfen mit Beil oder Guillotine, erschießen, vergasen, vergiften oder auf den elektrischen Stuhl setzen - die Liste der Prozeduren, mit denen Menschen im Namen Gottes, des Souveräns oder des Volkes wegen einer Rechtsverletzung zu Tode gebracht wurden oder werden ist recht lang. Helmut Ortner bedient sich zweier Ansätze, um diese Prozeduren zu entschlüsseln: Sie sind zunächst einmal vom gesellschaftlichen Fortschritt abhängig, sie sind aber auch ein Statement, eine gesellschaftliche Artikulation über das Verhältnis zu Tat und Täter, über den Stellenwert von Schuld und Strafe und über den Status der an der Hinrichtung beteiligten Menschen.

Spektakel für die Masse

Am Beginn der Geschichte der westlichen Zivilisation - und noch heute bei den islamischen Steinigungen - waren Hinrichtungen nicht nur eine Bestrafung des Täters, sondern auch eine Gelegenheit für die Zuseher, sich von seiner Tat zu distanzieren. Inszeniert waren sie als Schauspiele für die Masse. Das ging so weit, dass der italienische Philosoph Cesare Beccaria 1778 in seinem Traktat gegen die Unverhältnismäßigkeit der Todesstrafe den Erlebniswert von Hinrichtungen für höher veranschlagte, als den Abschreckungseffekt:

Das wurde am Höhepunkt der Aufklärung geschrieben, doch unter den Kritikern Beccarias finden wir Kant und Goethe, beide strikte Anhänger eines Vergeltungsstrafrechts.

"Humane" Guillotine

Die Todesstrafe an sich war resistent gegenüber der Aufklärung, nur die Art der Vollstreckung änderte sich unter ihrem Einfluss; das ist ein Prozess, der noch immer nicht abgeschlossen ist: Ab 1792 kommt zunächst im revolutionären Frankreich die Erfindung des Pariser Arztes und Abgeordneten Joseph-Ignace Guillotin zum Einsatz - eine effiziente Maschine, die im Namen von Menschlichkeit und Vernunft den Moment des Sterbens verkürzt. Das stimmte nicht ganz, denn die Maschine war störungsanfällig, aber mit dem Einsatz der Guillotine begann die positive Ideologisierung der Hinrichtungsart.

Wenn beispielsweise ein Deserteur erschossen wurde, dann meldeten sich die Freunde zum Erschießungskommando - durch ihre Teilnahme signalisierten sie seine Rückkehr in die Gemeinschaft. Auch der "unerwartete Nahschuss" nach der Urteilsverkündung in der DDR hatte eine pseudohumanistische Rechtfertigung - so ersparte man den Verurteilten das quälende Warten, das mittlerweile in den USA Jahrzehnte währen kann.

Innovationen aus den USA

Die USA spielen in Ortners Buch eine zentrale Rolle - das liegt an der Quellenlage, aber auch daran, dass es sich hier um das einzige demokratische Land handelt, in dem die Mehrheit der Bevölkerung die Todesstrafe bejaht. 2012 wurden dort 43 der von Amnesty International bestätigten 682 Hinrichtungen durchgeführt.

Und zudem stammen die großen Innovationen in der Vollstreckung allesamt aus den USA: der seit 1890 eingesetzte elektrische Stuhl, von der "New York Times gefeiert" als eine humane "Sterbehilfe durch Elektrizität - sicher, sanft und schmerzlos", die seit 1938 in Kalifornien in Betrieb genommene Gaskammer, und die 1982 erstmals in Texas verwendete Giftspritze.

Alle diese Prozeduren haben nie gehalten, was sie versprochen haben - Delinquenten hingen verbrannt am elektrischen Stuhl oder schnappten verzweifelt 15 Minuten in der Gaskammer nach Luft. Das sollte nicht sein - fast gewinnt man den Eindruck, die technische Komponente spiele im amerikanischen Diskurs die Hauptrolle - wenn eine Tötungsart die Versprechen nicht erfüllte, dann folgte die nächste technische Innovation.

Aufklären - aber wen?

Helmut Ortner zeichnet die zivilisatorische Linie in der Entwicklung der Tötungsarten so: Störungsfreiheit, Verkürzung der Schmerzphase, Reduktion des Blutvergießens und der Verstümmelung des Opfers, kein unmittelbarer körperlicher Kontakt zwischen Henker und Opfer im Moment des Tötens und schließlich Anonymisierung der Rolle des Henkers.

Die These Helmut Ortners von der Todesstrafe als Auskunftsmittel über die moralische Mentalität einer Gesellschaft ist ebenso interessant wie die zitierten Quellen, darunter zwei lange autobiografische Berichte von Henkern. Doch Ortner will mit seinem Buch "aufklären" - aber wen? Im Vorwort zitiert er einen 77-jährigen Rentner namens Helmut Schmidt, der in einem Leserbrief an die "FAZ" für die Todessstrafe plädiert. Aber ist der Mann trotz seiner Namensgleichheit mit dem populären Ex-Kanzler repräsentativ? In Europa ist die Todesstrafe Vergangenheit, die amerikanische Diskussion wird dieses Buch kaum erreichen.

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Helmut Ortner, "Das Buch vom Töten. Über die Todesstrafe", Zu Klampen-Verlag