"Die Chance". Roman von Stewart O'Nan

Der US-amerikanische Schriftsteller Stewart O'Nan setzt weniger auf gefinkelte Plots, dafür ist er ein Meister der genauen Beobachtung. Seine Figuren stammen meist aus der Mittelschicht und die ist mit der Finanzkrise ja gehörig ins Schleudern geraten. In seinem neuen Roman "Die Chance" ist es ein Ehepaar Anfang 50, das dem Privatkonkurs entgegensteuert.

Morgenjournal, 19.07.2014

Genau 30 Jahre ist es her, da haben Art und Marion Fowler ihre Flitterwochen an den Niagara-Fällen verbracht. Für ein Wochenende sind sie jetzt an den Ort ihres einstigen Glücks zurückgekehrt, doch die Vorzeichen haben sich völlig verändert. Sein Job und ihr gemeinsames Haus sind weg und eine Affäre hat das Vertrauen zwischen ihnen zerstört. Doch Art denkt nicht daran aufzugeben.

"Wir Amerikaner sind Optimisten und glauben immer, dass wir es irgendwie schaffen werden", sagt Stewart O'Nan. "Zweifel haben in unserem Denken wenig Platz. Ich beschreibe jetzt gerne, wie solche halsstarrigen Optimisten ihrem Untergang trotzen. Das ist eine Haltung, die schon Charlie Chaplins Tramp ausgezeichnet hat, der, obwohl er von allen Seiten auf Widerstände stößt, trotzdem versucht sich zu behaupten und das Beste aus seiner Lage zu machen."

Für den scheinbar aussichtslosen Kampf seines trotzigen Optimisten hat Stewart O'Nan mit den Niagara-Fällen den perfekten Schauplatz gewählt. Vor den schicksalhaften Naturgewalten wird hier die äußerste Künstlichkeit inszeniert, denn Niagara Falls, der Ort am Fuße der Wasserfälle, ist eine Art Klein-Las-Vegas voller Luxushotels und Casinos. Die kitschige Liebe Hunderter Flitterwöchner trifft hier auf die Risikobereitschaft verzweifelter Zocker. Und von denen hat die Finanzkrise mehr als genug hervorgebracht.

Stewart O'Nan: "Die behütete amerikanische Mittelklasse kann sich einfach nicht vorstellen, dass sich die Verhältnisse immer weiter verschlechtern. Aber wie wir gesehen haben, findet genau das gerade statt. Mein Interesse für diese Situation hat sicherlich mit meiner Geburtsstadt Pittsburgh zu tun. Seit Jahrzehnten herrscht dort der Niedergang, in meiner Kindheit und Jugend dort kannte ich gar nichts anderes. Der Rest des Landes hat diese Situation halt erst in den letzten Jahren kennengelernt und jammert jetzt dementsprechend."

Die beiden haben die Taschen voller Geld, das ihnen aber nicht mehr gehört, weil eigentlich schon die Gläubiger ihre Hände darauf haben. Weil es also ohnehin nichts mehr zu verlieren gibt, tragen sie es in einem letzten verzweifelten Versuch ins Casino. Wirklich spannend sind aber nicht die bangen Sekunden am Roulettetisch, sondern wie die beiden in Zeiten höchster Not plötzlich wieder zusammenrücken.

"Ich will meinen Lesern zeigen, dass das einzige, was wirklich zählt, die Menschen sind, die wir lieben", so Stewart O'Nan. "Es muss diese starken Bande zwischen meinen Figuren geben, gleichzeitig müssen diese Beziehungen aber auch gefährdet sein, denn sonst gibt es keine Geschichte."

In "Die Chance" erzählt Stewart O'Nan die Geschichte dieser Wiederannäherung auf atemberaubend entlarvende Weise. Ein amerikanischer Kritiker hat dann auch gemeint, dass Paare in der Krise sich besser diesen romantischen Roman zulegen sollten statt ihr Geld in endlose Sitzungen beim Eheberater zu investieren.

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Stewart O'Nan, "Die Chance", Rowohlt