Diskussion: Privatheit und öffentlicher Raum

Kaffeehäuser sind manchen Stadtbewohnern ihr erweitertes Wohnzimmer, während andere das private Glück des Gärtnerns in öffentlichen Grünanlagen praktizieren. Wie viel Privatheit ist dem öffentlichen Raum zuträglich? Darüber diskutierte am 6. August eine Runde von Fachfrauen auf Einladung der Kunst- und Kommunikationsagentur art:phalanx in Wien.

Morgenjournal, 7.8.2014

Ort der Veranstaltung war ein Hinterhof in der Neubaugasse, also auch ein halb-öffentlicher Platz, nach dem die Diskussionsreihe "Hinterhof kontrovers" benannt ist. "Hinterhof kontrovers" - diese Veranstaltungsreihe von art:phalanx zu Architektur und Stadtraum wird am 20. August und am 3. September in der Neubaugasse 25 fortgesetzt.

Urban Biedermeier

Es gibt einen Trend zur Natur in der Stadt: Hochbeete werden in Baulücken angelegt und brache Grünflächen zu Gemüsegärten umgebaut. "Urban Gardening" wird das genannt - für manche ist das eine zukunftsweisende Nutzung von städtischem Grün und eine Belebung des Gemeinwesens, während andere sich darüber beschweren, dass diese privaten Stadtgärten eingezäunt sind und nicht allen zur Verfügung stehen.

Vor- und Nachteile solcher privater Initiativen, in denen sich Kulturen und Milieus nicht unbedingt mischen, wurden gestern in der Podiumsdiskussion mit dem Titel "Urban Biedermeier" besprochen. Die Architektin Sabine Gretner, die für die Gemeinwesenarbeit der Caritas zuständig ist, befürwortet Bürgerinitiativen, die neue Begegnungsmöglichkeiten schaffen und zu sozialer Interaktion einladen:

"Früher war vor allem in Wien die Haltung sehr stark: 'Die Stadtverwaltung regelt alles für uns. Da ist das Blumenbeet, da die Tulpen auf der 2er-Linie. Das macht alles die MA42, ich muss mich nicht kümmern.' Mir gefällt dieser Ansatz der Aneignung. Das ist eine sehr spezielle Gesellschaftsschicht, aber die arbeitet, wie ich es empfinde, nicht so exklusiv."

Zusammenarbeit mit den Behörden

Eine gute Zusammenarbeit mit den Behörden ist gefragt, wenn neue Stadtgärten gegründet werden. Diese Erfahrung hat die Raumplanerin Simone Rongitsch gemacht. Sie ist Mitbetreiberin eines Gemeinschaftsgartens in der Kirchengasse, sowie eines Schau- und Forschungsgartens für urbane Landwirtschaft mitten am Karlsplatz. Im "Karls Garten" werden auf 2.000 Quadratmetern etwa fünfzig Obst-, Gemüse und Getreidesorten angebaut. Um Rat wird Simone Rongitsch von Menschen gefragt, die selbst Gärten gründen wollen. "Meiner Erfahrung nach müsste man Raumplanerin sein. Man braucht erstens fast einen Einreichplan, was man wie machen will. Oft werden Listen angefordert, welche Sträucher man pflanzen möchte", so die Raumplanerin.

Stadtpolitik versus private Aneignung

Gelebter Alltag und Stadtpolitik sind für die Soziologin Mara Verlic untrennbar verbunden: Wird durch politische Entscheidungen doch bestimmt, welche Gesellschaftsgruppe eine Stadt in welchem Ausmaß für sich in Anspruch nehmen darf. Menschen, die nicht kaufkräftig sind oder aus anderen Gründen unerwünscht, werde die Benutzung des öffentlichen Stadtraums zunehmend erschwert, so Verlic.

Als Gegenbewegung dazu sieht die Soziologin die Aneignung des Stadtraums durch private Initiativen. Wichtig ist, so sind sich die Expertinnen einig, dass durch Gemeinschaftsgärten und ähnliche gut gemeinte Einfälle nicht jene Menschen von ihren Plätzen, Parks und Bankerln vertrieben werden, die diesen Platz nötiger haben, als pflanzenbedürftige Städter/innen, denen die Dachterrasse zur Selbstverwirklichung nicht ausreicht.

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