Eine kurze Geschichte der Hummel
Und sie fliegt doch
Die Hummel ist vom Aussterben bedroht. Ihr Verschwinden, so der führende britische Hummelforscher Dave Goulson, hätte gravierende Folgen für unsere Gesellschaft. In seinem Buch "Und sie fliegt doch" will Goulson Begeisterung für ein Insekt schüren, das zu einem Produkt geworden ist.
8. April 2017, 21:58
Eine Suchanleitung
Setzen Sie sich 20 Minuten in einen Liegestuhl im Garten, schauen Sie in die Luft und warten Sie ab: Das ist die beste Chance, ein Hummelnest zu finden. Die dicken Brummer sind nämlich nicht leicht zu finden. Ihre Nester sind im Boden vergraben und es gibt weit weniger Flugverkehr als bei Bienen: Ein Bienennest kann Zehntausende Arbeiterinnen beherbergen, ein Hummelnest hingegen nur 300 bis 400 Arbeiterinnen. Dieser Tipp stammt vom wichtigsten britischen Hummelforscher Dave Goulson, dem Gründer der "Bumblebee Conservation Trust", eine Stiftung zur Rettung der Hummeln. Die Stiftung hat viel zu tun, denn Hummeln sind vom Aussterben bedroht.
Durch Monokulturen gefährdet
Hummeln bauen ihre Nester am liebsten unter Hecken oder Grenzzäunen. Davon gibt es viel weniger als früher. Die Felder sind wesentlich größer geworden und statt Schlüsselblumen wächst jetzt nur mehr Getreide oder andere Monokulturen. Die Blumenwiesen sind überall in Europa verschwunden.
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In Südengland einst weit verbreitet, verschwand die Erdbauhummel in den 1950er und 1960er Jahren rasch aus den meisten Gebieten, weil ihre Habitate zerstört wurden. In den 1970er Jahren war nur noch ein halbes Dutzend kleiner Populationen übrig, die aber auch nach und nach ausstarben.
Vielseitige, effektive Bestäuber
Dabei war die Erdbauhummel wie andere Hummeln gar nicht wählerisch. Hummeln sind - im Gegensatz zu Bienen - unterschiedlich groß. Dadurch können sie ein ganzes Spektrum von Blüten nutzen: kleine, mit kurzen Rüsseln ausgestattete Hummeln fliegen flache Blumenkronen an, große Hummeln sammeln bei Blumen mit einem tiefen Kelch. Diese Vielseitigkeit macht sie zu effektiven Bestäubern.
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Selbst manche Imker glauben, Nutzpflanzen würden ausschließlich von ihren Honigbienen bestäubt, doch in Wirklichkeit geht Honigbienen für die Bestäubung mancher Nutzpflanzen jegliches Talent ab (wenn man etwa an Feuerbohnen oder Tomaten denkt), während sie andere Pflanzen sehr gut bestäuben, zum Beispiel Raps oder Kiwifrüchte.
Hummel-Export und Pestizide-Stopp
Im Jahr 1985 entdeckte ein Hummelliebhaber, dass seine Gewächshaustomaten sehr effektiv von Hummeln bestäubt werden. Bis dahin sind Tomaten von Hand bestäubt worden: Arbeiterteams mussten mit vibrierenden Stäben jede Blüte einzeln berühren. Jetzt versetzen Hummeln die Blüten in Schwingung und schütteln die Pollen heraus. Der Mann gehört heute zu den größten Produzenten von Hummeln.
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Heute werden Hummeln weltweit in mindestens dreißig Betrieben produziert, vorwiegend Dunkle Erdhummeln. Viele von ihnen stammen aus der Türkei - aus irgendeinem Grund eigenen sich die türkischen Erdhummeln besonders gut zur Massenproduktion. Die europäischen Betriebe produzieren über eine Million Hummelvölker pro Jahr, die in alle Teile der Welt verschickt werden.
Aus ökologischer Sicht hat das einen Vorteil: Die Tomatenerzeuger können keine Pestizide verwenden, weil sie sonst ihre Hummeln töten. Die große Gefahr der Zucht ist allerdings, dass Hummeln Krankheiten einschleppen. Importierte Milben gefährden zum Beispiel Hummeln in Japan, Chile und Argentinien. Ferntransporte sollten verboten werden, fordert Dave Goulson.
Irrsinn mit Methode
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Kommerziell gezüchtete Hummeln werden jedoch immer häufiger dafür eingesetzt, auch Freilandpflanzen wie Erdbeeren, Blaubeeren und Äpfel zu bestäuben. Während sich die Landwirte früher darauf verließen, dass wilde Bienen und Hummeln ihre Pflanzen besuchten, scheinen sie heutzutage zu glauben, es gebe nicht mehr genügend wilde Hummeln und Bienen.
Noch ist es nicht so weit wie in Sechuan in China, wo die Wildbienen ausgerottet wurden. Heute hängen dort hunderte Arbeiter in den Birnbäumen und betupfen mit einem Pinsel jede einzelne Blüte. Die Bilder gingen um die Welt. Der Irrsinn hat aber auch im Westen Methode.
Das Wesen der Welt
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Wenn Sie das nächste Mal Heinz Tomatenketchup auf Ihre Portion Pommes spritzen, denken Sie einmal über das Wesen der modernen Welt nach. Ihr Ketschup wurde höchstwahrscheinlich in einer Fabrik in den Niederlanden hergestellt, und zwar aus spanischen Tomaten; die Bestäubung fand durch türkische Hummeln statt, die ihrerseits in einem Betrieb in der Slowakei gezüchtet wurden. Ich bin sicher, dass unsere Lebensmittelkette nicht ganz so kompliziert sein müsste. Denken Sie auch einmal daran, dass jede von Ihnen verzehrte Gurke, Aubergine, Stangenbohne, schwarze Johannisbeere und Paprika von einer Hummel bestäubt wurde, entweder einer künstlich gezüchteten oder einer wilden Hummel.
Woher weiß die Hummel das?
Wie viel Aufwand betrieben wird, um einzelne Hummelarten zu retten, beschreibt Goulson eindrücklich. Der Erfolg ist fraglich. Denn noch weiß man noch viel zu wenig über einzelne Arten, um sie wirklich retten zu können. Das, was man weiß, ist faszinierend:
Hummeln würden nie eine Blüte anfliegen, die zuvor schon von einem anderen Insekt besucht wurde - und zwar genau 40 Minuten lang. Das ist exakt die Zeit, die eine Blüte braucht, um den Nektar aufzufüllen. Woher können Hummeln wissen, wie lange der letzte Besuch schon weg ist?
Das ist nur eines der Rätsel, dem Dave Goulson auf den Grund geht. Er macht das so spannend wie nur einer vor ihm: der österreichische Bienenforscher und Nobelpreisträger Karl von Frisch. Seine "Erinnerungen eines Biologen" sind derzeit leider nur antiquarisch erhältlich. Vielleicht ist das auch der Grund, warum Goulson ihn mit keinem Wort erwähnt. Was ein wenig verwundert. Goulson tritt jedenfalls an, um die Welt der Hummeln zu retten.
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Alle Gartenbesitzer können hier einen gewaltigen Beitrag leisten - pflanzen Sie Beinwell, Natternkopf, Fingerhut, Schnittlauch, Akelei usw. an, und Sie werden prompt das Ergebnis sehen. Es geht hier nicht nur um Hummeln, sondern auch darum, für unsere Kinder eine schöne Umwelt der Zukunft zu schaffen, in der es noch Blumen, Bienen und Hummeln, Schmetterlinge, Vögel und gesunde Feldfrüchte gibt.
Service
Dave Goulson, "Und sie fliegt doch. Eine kurze Geschichte der Hummel", aus dem Englischen von Sabine Hübner, Carl Hanser Verlag München, 2014
Bumblebee Conservation Trust
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