Laura Papes aus der Magersucht
Lebenshungrig
Begonnen hat alles mit einer harmlosen Diät: Die damals 17-jährige Laura Pape war mit ihrem Körper nicht zufrieden. Die Diät gab ihr Sicherheit, die sie anderswo vermisste. Doch das Abnehmen lief aus dem Ruder. Nun hat Laura Pape über ihre Erkrankung ein Buch geschrieben, das helfen, wachrütteln und Mut machen soll.
8. April 2017, 21:58
Der Erfahrungsbericht der mittlerweile 20-Jährigen soll nicht nur Angehörigen erklären, was es wirklich heißt, magersüchtig zu sein, sondern soll auch jenen Mut machen, die unter einer Essstörung leiden.
"Ich bin 17 Jahre alt und finde mich zu dick." So beginnt Laura Pape ihre sehr detaillierte ehrliche Schilderung ihrer Krankheitsgeschichte. Laura Pape ist 1,71 Meter groß und bringt damals 67 Kilo auf die Waage. Mit einer guten Freundin wettet Laura Pape: Wer hat mehr Disziplin beim Essen und wer bringt als Erste das Wunschgewicht von 59 Kilo auf die Waage?
Plötzlich gab es kein Zurück
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Es fing alles mit einer harmlosen Diät an. Ich dachte mir nichts Schlimmes dabei, wollte einfach nur ein bisschen abnehmen. Eine Diät macht schließlich jeder mal. Aber ich habe den Zeitpunkt verpasst, um wieder damit aufzuhören - und dann steckte ich auch schon mit beiden Beinen in der Magersucht. Es ging alles so schnell, so unglaublich schnell. Und plötzlich gab es kein Zurück mehr.
Nach vier Wochen Diät hat Laura Pape bereits acht Kilo abgenommen - sie ernährt sich mit der Zeit fast nur noch von Eiweißshakes, die "eine erfolgreiche Gewichtsabnahme ohne Heißhungerattacken" versprechen, zwischendurch von Obst und Salat, und sie betreibt täglich Sport. Laura Pape nimmt die heruntergehungerten Kilos aber schnell wieder zu. Bei ihrem zweiten Versuch abzunehmen haben dann die Zahlen begonnen, ihren Alltag zu bestimmen, erzählt Laura Pape.
Nur die Zahl zählt
Freunde, Familie, Schule und Hobbys werden nebensächlich, schreibt Laura Pape. Familie und Freunde würden einem nämlich nicht die Wahrheit sagen - im Gegensatz zu den Zahlen: Denn Nährwerttabellen, Maßbänder und Waagen, die würden nicht lügen.
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Essen. Essen. Essen. Immer nur diese Gedanken ans Essen in meinem Kopf, die ich einfach nicht loswerde. Warum kann ich nicht mal an was anderes denken, was mich wenigstens ein bisschen von diesem ständigen Thema ablenkt? Aber es geht nicht. Die Zeit zwischen den wenigen Mahlzeiten, die ich mir erlaube, ist eine einzige Quälerei. Warum kann ich nicht einfach wie die anderen Mädchen in meinem Alter sein? Ich glaube, dann wäre mein Leben um einiges leichter. Doch will ich das überhaupt? Eigentlich bin ich doch stolz darauf, dass ich nicht so bin wie alle anderen. Im Gegensatz zu denen bin ich nämlich so diszipliniert, dass ich aufs Essen verzichten kann.
Veränderte Körperwahrnehmung
Laura Pape beschreibt, wie sich ihre Körperwahrnehmung verändert: Innerhalb von fünf Wochen hatte die 17-Jährige erneut ihr Gewicht von 68 auf 56 Kilo reduziert. Dass sie mittlerweile erschreckend dünn aussieht, das hörte sie zwar von Freunden und Verwandten, Laura selbst sah es aber nicht.
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Die Essstörung ist so das Einzige, was einem noch geblieben ist. Die gibt einem eine Aufgabe, jeden Tag, und ein Ziel, das es zu erreichen gilt. Auf einmal will man seinen Körper sogar kaputt machen, denn jedes Krankheitssymptom ist doch ein Zeichen dafür, wie hartnäckig man an seinem Ziel, dünn zu sein, arbeitet! Man muss achtsam sein, darf sich keine Fehler mehr erlauben. Jede Kalorie könnte eine zu viel sein - und auf keinen Fall will man am nächsten Tag 100 Gramm mehr wiegen. 100 Gramm kommen einem vor wie 1000.
"Magersucht ist der Versuch, das eigene Leben unter Kontrolle zu bekommen", schreibt Laura Pape. Ein unersättliches Streben nach Perfektion. Die Kontrolle über zehn Kalorien, über 100 Gramm, über 1000 Gramm, das hat Laura Pape Sicherheit gegeben. Als Laura Pape nur noch 47 Kilo wiegt, liefert sie ihre Mutter ins Spital ein. Aber es dauert noch, bis die 17-Jährige sich eingesteht, krank zu sein.
"Als Belohnung darf ich duschen"
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Ich nehme weiter zu und erreiche bald die 48 Kilo. Als Belohnung dafür darf ich nach fast einer Woche zum ersten Mal wieder richtig duschen und werde nicht mehr jeden kleinen Weg im Rollstuhl geschoben. Ich bekomme sogar eine halbe Stunde Ausgangszeit am Tag.
Laura Pape beschreibt, wie sie sich Schritt für Schritt mit ihrer Krankheit auseinander setzen muss: Strikte Essenspläne, Gesprächstherapie und ein Kochkurs für Magersüchtige helfen ihr dabei. Nach über einem halben Jahr stationärer Behandlung auf der Kinder- und Jugendpsychiatrie darf Laura wieder nach Hause. Sie wiegt 56 Kilo.
Das Schwierigste für Laura Pape war es, mit dem Kalorienzählen aufzuhören. Heute ist Laura Pape gesund. Ihr genaues Gewicht spielt für sie keine große Rolle mehr.
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Daheim gehe ich einkaufen. Einkaufen, wie es normale Menschen tun. Nicht wie eine Magersüchtige. Weg vom Knäckebrot. Weg von den fettreduzierten Sachen. Weg von der Cola light und weg vom Diätregal. Dafür hin zu dem richtigen Essen. Zu den Lebensmitteln. Lebens. Mittel. Was für ein schönes Wort.
Service
Laura Pape, "Lebenshungrig. Mein Weg aus der Magersucht", Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2014