Philosophisches von Renata Salecl

Die Tyrannei der Freiheit

Warum es eine Zumutung ist, sich anhaltend entscheiden zu müssen, erläutert die Philosophin Renata Salecl in ihrem Buch "Die Tyrannei der Freiheit".

Renata Salecl hatte gerade ihr letztes Buch mit dem Titel "Über Angst" beendet, da wurde ihr klar: Mit diesem Thema sei sie eigentlich noch nicht ganz fertig. Ihr wurde klar, dass wir immer ängstlicher werden, wenn es darum geht, eine Entscheidung, eine Wahl treffen zu müssen.

War die Entscheidung richtig?

"Wir glauben, dass alles in unseren Händen liegt: die Wahl des richtigen Partners, was wir essen, welchen Sport wir betreiben, wie wir altern und alles, was unsere Kinder betrifft", so Renata Salecl. "Wenn wir in der Situation sind, eine solche individuelle Wahl zu treffen, dann machen wir uns sofort Sorgen, ob es sich tatsächlich um die ideale Wahl handelt. Wir glauben: Wenn wir nur lange genug nachdenken, dann würden wir eine informierte Entscheidung treffen. Diese Angst, falsch zu entscheiden, ist das eine. Und das andere ist: Nachdem wir eine Wahl getroffen haben, sind wir unzufrieden, dass es doch nicht die richtige gewesen ist. Und leiden deswegen unter Schuldgefühlen."

Die egomanische Gesellschaft

Deshalb, so die Philosophin und Soziologin, lesen die Menschen auch so viele Ratgeber und Selbsthilfebücher. Dieses Genre sei das einzige, das sich mit der Qual der Wahl auseinandersetzt, kritisiert Renata Salecl, allerdings nur unter dem Blickwinkel des Konsums. Doch der slowenischen Autorin geht es nicht um das Dilemma, welches Kleid man kaufen oder wohin man auf Urlaub fahren soll. Sie analysiert, was es heißt, wenn jeder in einer Gesellschaft auf dem Egotrip ist und nur für seine eigenen Entscheidungen lebt.

"Wenn Menschen alles zunehmend als Sache der individuellen Wahl betrachten, dann engagieren sie sich weniger für wichtige soziale Entscheidungen. Und sie stellen auch nicht das System in Frage, die politische Organisation sowie die Art von Gesellschaft, in der sie leben. Zumindest nicht auf eine Art und Weise, die die Gesellschaft und die Machtzentren ins Wanken bringen könnte."

Jede Wahl ist irrational

Der Gedanke, dass jeder seines Glückes Schmied sei, sein Schicksal in die Hand nehmen und formen könne, sei besonders in den USA verbreitet. Verkörpert wird er vom sogenannten Selfmademan. bzw. der Selfmadewoman. Doch egal, wie sehr man sich den Kopf über die richtige Wahl zerbricht, - jeder Wahl hafte ohnehin immer etwas Irrationales an. Renata Salecl erzählt von Jusstudenten, die sie unterrichtet:

"Ich frage meine Studenten oft: Warum habt ihr euch für Jus entschieden? Denn vielen Jusstudenten macht das Studium keinen Spaß. Selbst viele Anwälte sagen, dass sie lieber nicht Anwalt sein wollten. Also warum entscheidet man sich dann für Jus? Dann kommen Antworten wie zum Beispiel: 'Ach, es war eine gesellschaftlich akzeptable Wahl und wahrscheinlich hat man ein gutes Leben.' Oder: 'Mein Vater wollte ein guter Anwalt werden; ich steige in seine Fußstapfen.' Oder: 'Mein bester Freund studiert Jus. Also tue ich es auch.' - Viele Entscheidungen entsprechen also nicht wirklich unserer tiefsten Sehnsucht. Außerdem wissen wir ja von der Psychoanalyse, dass Sehnsüchte oft unbewusst sind. Das heißt: Wir selber wissen eigentlich nicht, was uns glücklich macht."

Egal, welche Entscheidung wir treffen, mit den Folgen müssen wir oft sehr lange leben. Und ob diese Wahl tatsächlich zu Glück und Erfüllung führt, lässt sich vom Individuum nicht unbedingt steuern. Jede Wahl für etwas bedeutet gleichzeitig den Verlust dessen, wogegen man sich entschieden hat.

"Da wir sozusagen die Schattenseite der Wahl nicht akzeptieren, sind wir oft handlungsunfähig. Ich erinnere mich an eine Frau, die ich vor kurzem getroffen habe. Sie hat mir erzählt, dass sie eigentlich entscheidungsunfähig sei. Sie brauchte Wochen, um ein Hotel auszuwählen. Obwohl sie ohnehin nur eine Nacht dort verbringen würde. Sie konsultierte die Bewertungen auf TripAdvisor und anderen Internetseiten. Dann wusste sie nicht, was sie anziehen sollte. Und dann sagt sie auf einmal: Und jetzt muss ich mich für einen Samenspender entscheiden. Ich fragte sie dann: Ja warum denn? Wieso ist es so eilig? Und sie darauf: Ich werde Ende des Jahres 40, und ich habe mir bisher die Männer nicht gut ausgesucht."

Delegieren entspannt

Renata Salecls Analyse, wie sehr uns die Fülle von individuellen Wahlmöglichkeiten belastet, verschaffte ihr Erleichterung. Sie sei nun viel entspannter, meint die Autorin: "Ich glaube, ich bin ein bisschen von der Angst vor der Wahl kuriert. Zumindest Konsumentscheidungen nehme ich nicht mehr sehr ernst. Freilich kann es manchmal überwältigend sein. Zum Beispiel beim Autokauf. Ich habe beschlossen, damit meinen Vater und meinen Sohn zu betrauen. Er ist ein Teenager und hätte meine Wahl ohnehin kritisiert. Also habe ich beschlossen: Die beiden sollen mir die Entscheidung abnehmen. Natürlich habe ich ihnen ein Budget vorgegeben. Mir ist auch bewusst geworden, wie oft wir Entscheidungen eher unbewusst als rational treffen. Mittlerweile denke ich: Wenn man sich ein bisschen überraschen lässt, ist das nicht so schlecht."

Service

Renata Salecl, "Die Tyrannei der Freiheit. Warum es eine Zumutung ist, sich anhaltend entscheiden zu müssen", aus dem Englischen von Yvonne Badal, Blessing Verlag

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