Brasilien: Silva wird Rousseff gefährlich
In etwa einem Monat wählt Brasilien eine neue Präsidentin. Amtsinhaberin Dilma Rousseff hat eine gefährliche Gegnerin bekommen: Nachdem der sozialdemokratische Präsidentschaftskandidat Eduardo Campos bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen ist, tritt statt ihm die ehemalige Umweltministerin Marina Silva an. Die Umfragen zeigen, dass sie tatsächlich gewinnen könnte.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 28.8.2014
Gesunkene Beliebtheit
Es herrscht Wahlkampf in Brasilien. Die Straßen sind zugepflastert mit den Gesichtern der Kandidaten und Kandidatinnen. Der Privatsender Band zeigte diese Woche das erste große Duell der sechs Spitzenkandidaten und -kandidatinnen. Die Beliebtheit von Präsidentin Dilma Rousseff ist drastisch gesunken seit den Massen-Demonstrationen im Vorfeld der Fußball WM. Das will Herausfordererin Marina Silva von der sozialdemokratischen Partei für sich nutzen: "Als die Menschen vergangenes Jahr auf die Straßen gingen, hat die Regierung alles Mögliche versprochen: einen Bildungspakt, besseren öffentlichen Verkehr, Kontrolle der Inflation. Nichts davon hat funktioniert? Warum? Was ist schiefgelaufen?"
Marina Silva wendet sich an politikverdrossene junge Menschen und verspricht eine völlig neue Politik. Präsidentin Dilma hingegen setzt in ihrem Wahlkampf auf die bisherigen Erfolge der 12-jährigen Regierungszeit ihrer Arbeiterpartei: "Die jüngeren unter euch erinnern sich vielleicht gar nicht daran, wie sehr sich Brasilien in den vergangenen 12 Jahren verändert hat. Eure Eltern wissen noch, dass Arme früher gar nicht träumen brauchten von einem eigenen Haus, einer höheren Bildung. Sie hatten weder ein Auto, noch konnten sie mit dem Flieger verreisen. Die meiste Zeit waren sie arbeitslos."
Breite Resonanz
Beide Präsidentschaftskandidatinnen waren im Widerstand gegen die brasilianische Militärdiktatur aktiv. Dilma Rousseff musste damals zwei Jahre Gefängnis und Folter über sich ergehen lassen. Marina Silva stammt aus dem Amazonas-Staat Acre. Sie wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf und lernte erst als Teenager lesen und schreiben. Als Umweltaktivistin kämpfte sie viele Jahre für den Schutz der Regenwälder - Seite an Seite mit dem später ermordeten Chico Mendes. Präsident Lula holte sie als Umweltministerin in seine Regierung. Doch aus Protest gegen die Umweltpolitik der Arbeiterpartei trat sie schließlich zurück. Ihre härteste Gegnerin bereits damals: Energieministerin Dilma Rousseff.
Wer erwarten würde, Marina Silva wäre eine klassisch linke Kandidatin, die auch für eine liberale Gesellschaftspolitik steht, der irrt jedoch. "Vieles von dem, was Menschen später in Gesetze geschrieben haben, steht bereits hier: im heiligen Buch der Bibel." Die charismatische Marina Silva gehört einer konservativen evangelikalen Freikirche an. Und genau von dort kommt auch ein großer Teil ihrer Anhänger. Marina Silva punktet also paradoxerweise sowohl bei wertkonservativen Religiösen, wie auch bei politikverdrossenen Jungen. Laut aktuellen Umfragen dürfte im ersten Wahldurchgang noch Präsidentin Dilma die Nase vorne haben, bei einer Stichwahl aber Marina knapp gewinnen. Der brasilianische Wahlkampf bleibt spannend. Nur eines scheint sicher: Die größte Volkswirtschaft Lateinamerikas wird auch die kommenden vier Jahre von einer Frau regiert.