Krimi von Bernhard Aichner
Die Totenfrau
Unbestritten das Krimi-Ereignis des Jahres - in Österreich, im deutschen Sprachraum und darüber hinaus. Die internationalen Rechte an diesem Thriller sind schon vor seinem Erscheinen hierzulande an etliche europäische Verlage und in die USA verkauft worden, ebenso die Filmrechte.
8. April 2017, 21:58
Bernhard Aichner, ein Tiroler Fotograf und Schriftsteller, hat mit "Totenfrau" einen Bestseller der Kriminalliteratur hingelegt, wie man es raffinierter und professioneller kaum schaffen kann. So etwas kennt man für gewöhnlich nur aus den Schreibmanufakturen US-amerikanischer oder skandinavischer Kollegen und Kolleginnen.
Aichner hat lange hingearbeitet auf diesen Erfolg. Im Jahre 2000 debütierte er mit einem Erzählband, es folgten kürzere Romane, schließlich eine Krimiserie im Haymon Verlag mit dem Totengräber Max Broll als Detektivfigur. Und jetzt also die "Totenfrau".
Irgendwer stirbt immer
Wenn man so will, ist der Autor zumindest der Arbeitswelt seiner Protagonisten treu geblieben. Brünhilde Blum - nichts hasst sie mehr als ihren Vornamen - erbt das Innsbrucker Bestattungsunternehmen ihrer Adoptiveltern, die bei einem gemeinsamen Segeltörn in der Adria auf rätselhafte Weise ums Leben gekommen sind. Eigentlich läuft alles ganz gut, gestorben wird ja immer, und auch privat findet die Blum ihr Glück mit jenem Polizisten, der sie vor der dalmatinischen Küste vom Segelboot rettet.
Bis eines Tages ihr Mann und Kindsvater direkt vor der Haustür auf seinem Motorrad von einem Geländewagen abgeschossen wird. Tödlicher Unfall mit Fahrerflucht oder doch mehr? Blum beginnt in der Hinterlassenschaft ihres Mannes zu kramen, stößt auf ein Diktiergerät, darauf eine Zeugeneinvernahme, Dunja, eine junge Frauenstimme, Ausländerin, illegal in Österreich.
Gangster im Touristenidyll
Je weiter Blum in deren Geschichte hineinhört, desto absurder und grauenhafter stellen sich die Geschehnisse dar. Nicht nur Schwarzarbeit und Ausbeutung im heiligen Tiroler Fremdenverkehr, sondern auch Folter, Vergewaltigung und Mord im alpinen Touristenidyll. Die Blum weiß nicht so recht, ob sie dieser haarsträubend perversen Geschichte glauben soll, und auch ein Ex-Kollege ihres Mannes tut das Ganze als Erfindungen einer drogen- und geisteskranken Ausländerin ab, die irgendwo im Obdachlosenmilieu untergetaucht sein soll.
Trotzdem beginnt die Bestatterin, die noch vor kurzem ihren eigenen Mann fürs Begräbnis "schön gemacht" hat, wie es so heißt, zu recherchieren. Sie macht sich auf die Suche nach Dunja, auf die Suche nach jenem Folterkeller im Hotel eines prominenten Tiroler Skiortes, und je mehr sie herausfindet, umso realer wird dieser Alptraum aus zügellosem Sadismus, absoluter Macht und abgrundtiefer Grausamkeit. Eine Horrorloge, bestehend aus lokalen Honoratioren und landesweiter Prominenz, die an den Schwächsten der Schwachen ihre kranken Lüste befriedigen.
Der Rest dieser Geschichte ist ein spannungsgeladener Rachefeldzug mit allen Facetten und Effekten, die einen Thriller dieses Niveaus ausmachen.
Erzählerischer Sog
Das Niveau ist hoch, und das Bestsellerprädikat ist durchaus verdient. Bernhard Aichners "Totenfrau" ist ein Kriminalroman, den man trotz seiner 444 Seiten in einem durchlesen möchte. Dieser erzählerische Sog, das Erfolgsrezept seines Autors, lässt sich an mehreren Punkten festmachen. Da ist einmal die Sprache. Es sind die adäquaten, knappen Sätze, oft auch Stummelsätze. Da gibt es sich wiederholende Schlüsselsätze, die die Handlung vorantreiben statt sie zu hemmen. Da wird - abgesehen von der Hauptfigur, der Bestatterin Blum - auf psychologisierende Feinzeichnerei der Charaktere verzichtet, und da wird ganz nebenbei, ohne ins Klischeehafte abzudriften, die alpine Urlaubswelt vorgeführt. Durchaus auch mit Anspielungen an jüngere, handfeste Skandale im gastronomischen Gewerbe.
Und dass Bernhard Aichner das Psycho-, Horror- und Splattergenre der Kriminalliteratur und ihrer Verfilmungen - von "Peeping Tom" bis zum Brutaloschocker "Hostel" - ausreichend kennt, um mit deren Bausteinen - wohlgemerkt: nicht mit deren Versatzstücken - jonglieren zu können, komplettiert den Erfolg der "Totenfrau".
"Es klingt vielleicht blöd", hat Aichner in einem Interview gesagt, "aber ich wollte einen Bestseller schreiben. Und ich denke, das habe ich".
Dem Zitat ist nichts hinzuzufügen.
Service
Bernhard Aichner, "Die Totenfrau", Verlag btb
Bernhard Aichner