Die Geschichte der Korruption
Korruption – ein hässliches Wort. Dabei verstehen unter Korruption nicht alle das Gleiche. Der deutsche Historiker Jens Ivo Engels, Professor an der TU Darmstadt, hat nun eine instruktive "Geschichte der Korruption" vorgelegt.
8. April 2017, 21:58
Wenn Medien über Krisengebiete berichten - Somalia, den Irak oder Äthiopien - dann ist oft von "failed states" die Rede. Gescheiterte Länder, in denen die grundlegenden Aufgaben eines Staates nicht erfüllt werden. Ein Merkmal dieser "failed states": Korruption ist allgegenwärtig - meinen zumindest westliche Beobachter.
Der "Günstlingsminister"
Was unter Korruption verstanden wird, lässt sich nicht genau definieren. Praktiken, die an bestimmten Orten allgemein akzeptiert sind, gelten woanders als tabu. Vor einigen Jahren noch konnten Firmen Bestechungsgelder, die sie im Ausland zahlten, als Betriebsausgaben geltend machen. Und der "Günstlingsminister" war durch Jahrhunderte hindurch ein angesehener Mann. Kardinal Richelieu kennt man heute noch.
Da der Günstlingsminister ganz von der Gunst des Königs abhängig war, musste er sich absichern. Also setzte er an zentralen Stellen Menschen ein, denen er ganz vertrauen konnte. Er zweigte für sich selbst Geld ab und wurde mächtiger und mächtiger. Wir würden so eine Person heute als Ausbund an Korruption bezeichnen, auch weil sie ihr eigenes Wohl über das Gemeinwohl stellt.
Für das Gemeinwohl
Zitat
Das Gemeinwohl ist so etwas wie der Markenkern der europäischen Staatlichkeit. Spätestens seit der Aufklärung werden politische Macht, die Existenz von Staaten sowie von Gesetzen und die Beschränkung von Freiheit in der Regel rational begründet, das heißt mit dem Argument, dass dies zum Nutzen aller sei.
Die Frage, welche Politik dem Gemeinwohl dient ist, ist nicht immer leicht zu beantworten. Der Begriff ist recht schwammig. Und wenn man nun davon ausgeht, dass Korruption das ist, was diesem ohnehin offenen Konzept entgegenläuft, dann befindet man sich endgültig im Vagen. Aus diesem Grund ist es für Jens Ivo Engels wichtig, weniger über Praktiken als über Debatten zu schreiben. Denn warum, was, wann als korrupt bezeichnet wird, sagt viel über die Gesellschaft aus, so der Historiker.
Frankreich nach der Revolution
Prototypisch für die moderne Interpretation von Korruption steht ein Skandal, der Frankreich zu Ende des 19. Jahrhunderts erschütterte. Am 2. Dezember 1887 wurde Jules Grévy, Präsident der französischen Republik und der erste wirkliche Republikaner in dieser Position, mit Schimpf und Schande aus dem Amt gejagt. Grund dafür war der sogenannte "Skandal der Dekorationen" – Grévys Schwiegersohn hat mit Billigung des Präsidenten Orden der Ehrenlegion teuer an Interessenten verkauft. Und der Präsident selbst hat davon finanziell profitiert.
Zitat
Der aufrechte Republikaner war mit Vorwürfen konfrontiert, die seine politischen Freunde normalerweise an die Adresse von Monarchen richteten: Vetternwirtschaft, Amtsmissbrauch; kurz: Korruption.
Die Republik war unter anderem mit dem Versprechen angetreten, die korrupten Praktiken des Kaiserreiches auszurotten, und nun war ihr oberster Vertreter selbst in solchen Praktiken verstrickt.
In den Jahrzehnten um die Französische Revolution formte sich das politische Denken neu aus; und angetrieben von den Philosophen der Aufklärung wurde auch Korruption neu interpretiert. Die Aufklärer waren besessen von der Idee des Fortschritts. Das Neue würde das Alte verdrängen und den Menschen einen Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit weisen.
Zitat
Korruption war das trübe Licht, in dem die Aufklärer die Welt sahen: Sie glaubten, ihre Gegenwart sei geprägt von Korruption und Degeneration, nicht nur in der Regierung, sondern auch im Bereich des Geschmacks, der Sitten und Gebräuche.
Wissenschaftliche Analyse
Jens Ivo Engels hat mit "Die Geschichte der Korruption" einen hervorragenden Text vorgelegt. Kein populäres Sachbuch, sondern eine fundierte wissenschaftliche Analyse, die trotzdem leicht zu lesen ist. Auch wenn Engels mitunter kurze Exkurse in das Denken antiker Philosophen unternimmt, so untersucht er einen doch relativ engen historischen Zeitraum. Von der Frühen Neuzeit bis ins 20. Jahrhundert reichen seine Analysen. Zeitlich endet das Buch mit dem Zweiten Weltkrieg. Auch weil, so Engels, nach 1945 die öffentlichen Diskussionen über Korruption merklich abnahmen und erst in den letzten 20 Jahren wieder annähernd jene Aufmerksamkeit bekommen, die sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts besaßen.
Seit Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten wird der Kampf gegen politische Korruption in den westlichen Ländern mit großen Aufwand geführt - gewonnen wird diese Kampf aber niemals werden, so das Resümee von Jens Ivo Engels:
Zitat
Nicht weil der Mensch schwach ist, sondern weil unsere Vorstellung von Korruption keine Überwindung der Korruption zulässt. Korruptionskritik ist ein Modus, in dem europäische Gesellschaften seit etwa dem Jahr 1800 über sich selbst und über ihre politischen Ideale nachdenken.
Service
Jens Ivo Engels, "Die Geschichte der Korruption", S. Fischer