Twitteratur
Der Kurznachrichtendienst Twitter ist nicht nur als Austauschort für Neuigkeiten, sondern auch als Plattform für Literatur höchst beliebt. Beide Phänomene haben die diesjährige Frankfurter Buchmesse begleitet.
8. April 2017, 21:58
Enormen Erfolg erzielte zum Beispiel die Aktion #1Buch1Satz der Wochenzeitung "Die Zeit". Die Spielregeln: Man fasse den Inhalt eines Buches in einem Satz zusammen und lasse andere Twitternutzer das Werk erraten. Tausende haben in den letzten Tagen mitgespielt.
Morgenjournal, 11.10.2014
Am Dienstag wurde die Parole #1Buch1Satz ausgerufen und unmittelbar darauf von Tausenden Twitter-Usern befolgt. Das enorme Echo habe auch ihn überrascht, erzählt "Zeit"-Redakteur David Hugendick.
Klassiker, kompakt
Goethes Faust verdichtet sich etwa zu: "Gelehrter paktiert, verführt, schwängert und mordet" und die Odyssee, auf den Punkt gebracht, wird zu: "Mit einem Navi wäre das nicht passiert".
Es sind vor allem literarische Klassiker wie Kafka, Musil, Goethe oder Homer, die meist augenzwinkernd auf einen Satz komprimiert werden, beobachtet die Literaturwissenschaftlerin Katharina Serles, die zu unterschiedlichen Twitter-Phänomenen forscht und als @nichtkatharina seit fünf Jahren selbst aktiv twittert.
Nicht neu, aber immer wieder neu entdeckt
Neu ist das Ganze natürlich nicht. Seit Jahren gibt es immer wieder Aufrufe, Lieblingswerke in einem Tweet zu schildern, zu zerpflücken oder spielerisch fortzuspinnen. Für Katharina Serles ein erfreulich emanzipatorischer Zugang zu Literatur, denn man bemächtige sich eines Klassikers und schaffe in komprimierter Form ein neues, eigenes Kunstwerk.
Apropos Kunstwerk: Auch als Plattform für literarische Kurztexte wird und wurde Twitter gern genutzt. Die begrenzte Zeichenzahl, die Unmittelbarkeit und Flüchtigkeit des Mediums geben Anreiz für brillante Sprachkreationen, weiß die Medienwissenschaftlerin Jana Herwig. Sie ist als @digiom auf Twitter aktiv und saß 2009 in der Jury, als der erste Twitter-Literaturwettbewerb in Österreich ausgelobt wurde.
#fbm14 initiiert #twitteratur
Die diesjährige Frankfurter Buchmesse folgt dem Trend und lädt namhafte Autorinnen und Autoren ein, unter #twitteratur Kurzromane im Ausmaß von 140 Zeichen zu schreiben. Doch auch abseits der Buchmesse begeistern Literatur-Tweets, etwa von Sibylle Berg (@SibylleBerg), Nadine Kegele (@Annalieder) oder dem Gewinner des Leipziger Buchpreises, Sasa Stanisić (@sasa_s) eine wachsende Follower-Gemeinschaft. Aber auch literarisch-pointierte Betrachtungen unbekannter Twitter-Autorinnen und –Autoren sind es wert, auf Twitter aufgestöbert zu werden, sagt Jana Herwig.
Übrigens: Zumeist verschwinden Phänomene wie #1Buch1Satz auf Twitter ebenso schnell wie sie auftauchen, weiß auch Daniel Hugendick. Aber die nächste Buchmesse, und die nächste literarische Twitter-Aktion kommen bestimmt.