Was treibt Jugendliche zum IS?

Wie erklären sich junge Musliminnen in Österreich die Radikalisierung von Freunden und Verwandten? Wie läuft die Rekrutierung in Österreich ab und wie geht es jungen Kopftuchträgerinnen mit der Skepsis, der sie in Österreich ausgesetzt sind? Eine Reportage aus einem Wiener Jugendzentrum.

Beine von Jugendlichen

APA/ROBERT JÄGER

Die Terrormiliz islamischer Staat rekrutiert nicht nur junge Männer aus Österreich. Auch mindestens sechs junge Frauen sind laut Innenministerium nach Syrien gereist. IS-Kämpfer zu heiraten, dürfte ihr Ziel gewesen sein. Insgesamt sollen 150 junge Menschen aus Österreich in den Krieg gezogen sein.

Morgenjournal, 28.10.2014

Eine Reportage von Bernt Koschuh. Die Namen der jungen Musliminnen haben sind auf ihren Wunsch geändert.

"Dann eskaliert immer alles"

Mit Haarspray und Bürste machen sie sich die Haare schön - die jungen Musliminnen in einem Wiener Jugendzentrum. Und ausgerechnet ein Mädchen mit Kopftuch frisiert mit Begeisterung. Die 14-jährige Sümeye zeigt ihre Haare also nicht mehr öffentlich, findet aber nichts dabei, wenn´s andere tun. Toleranz geht für sie vor religiöser Überzeugung, machen die jungen Frauen beim gemeinsamen Abendessen im Jugendzentrum deutlich. Die 18-Jährige Ezra sagt, ihr sei es egal, ob jemand ein Moslem, ein Christ ein Jude ist oder an gar nichts glaubt. "Das ist ok."

Ezra und auch Nurten tragen kein Kopftuch. In ihrer Familie, sagt die 16-jährige, habe damit niemand ein Problem - außer ihrem Bruder, offenbar ein Anhänger der radikalislamischen Salafisten: "Er meint, dass ich mich nicht so freizügig anziehen und mich bedecken soll, und dann eskaliert immer alles und es schreien alle herum." Der Bruder wäre auch fast zum Kämpfen nach Syrien gefahren: "Er wollte, aber meine Mutter hat dann immer mit ihm diskutiert, und dann hat er es doch bleiben lassen. Sehr viele Freunde von ihm sind schon nach Syrien gefahren und sie werden jetzt auch gesucht, von Interpol. Er redet jeden Abend drüber und es ist einfach nur ermüdend. Immer zuzuhören, wenn Leute umgebracht werden im Namen des Islam. Es ist einfach nicht richtig."

"Zurück kommt meine Leiche"

Woher kommen die radikalen Ideen? Bei ihr in der Großfeld-Siedlung hat alles mit Koran-Verteilaktionen angefangen, erzählt Ezra: "Salafisten haben Bücher verteilt. Das ist nicht so schlimm. Die Jugend soll einmal lesen, alles cool. Aber dann haben sie zu ein paar Jugendlichen gesagt, kommt in die Moschee, das ist Gottes Krieg, wir müssen da alle hingehen. Und nach vier, fünf Monaten gabe es radikale Veränderungen an den Jugendlichen. Alle Glatzen und einen Bart, und ein Freund von mir, mit dem ich aufgewachsen bin, der ist in den Krieg gezogen. Und der hat dann gesagt, ich bin hergekommen um zu sterben. Wenn ich zurückkomme, dann kommt meine Leiche."

Im Jugendzentrum wollten einige Burschen dann keine Musik mehr machen, Musik sei Teufelswerk. Ezra sagt, Ihr sei es gelungen, den Burschen das wieder auszureden - die Methoden der Salafisten aber seien wie eine Gehirnwäsche: "Die sind echt freundlich, werden aber schnell wütend, wenn man ihre Meinung nicht vertritt. Viele Leute lassen sich dann einschüchtern und sagen, ich rede jetzt nicht zurück und sagen, dass sie verstehen. Aber sie haben nichts verstanden im Kopf."

"Dann kommt die Wut"

Eine entscheidende Rolle spielen auch Videos - Videos, die Moslems als Opfer zeigen, sagt die 14-jährige Sümeye: "Kinder werden getötet, Männer werden getötet." Haben die Freunde dann ein Rachegefühl? "Ja, das ist dann die Wut." Dass zumindest sechs junge Musliminnen aus Österreich in Syrien IS-Kämpfer geheiratet haben sollen, erklärt Ezra so: "Ich denke, dass das sehr schwache Persönlichkeiten sind, nicht sehr viel Akzeptanz in ihrem Leben erfahren haben und diese Akzeptanz dort gefunden haben und so in eine Eskalation reingeraten sind. Ich denke, dass die Mädchen das am eigenen Leib gespürt haben und jetzt zurück wollen.

Die 14-jährige Sümeye ist da nicht gefährdet, sie sagt: "Ich bin stolz, dass ich in einem demokratischen Land lebe." Und beim Frisieren einer Freundin sagt sie: Sie nehme in Kauf, dass es in letzter Zeit mehr abwertende Bemerkungen wegen ihres Kopftuchs gibt: "Ich werde blöd angeschaut, manchmal auch angesprochen. Es gibt Leute, die sagen 'Kopftuchmafia'. Naja, man gewöhnt sich schon dran." Aber ganz egal scheint es der friedliebenden Jugendlichen nicht zu sein, dass sie als junge Frau den Zorn abbekommt, den die IS-Terroristen in Österreich auslösen.