"Ulysses" als Multimedia-Projekt im Werk X

Der junge Regisseur und Filmemacher Marat Burnashev hat James Joyces Jahrhundertwerk "Ulysses" als Multimediaprojekt re-interpretiert. Ein Projekt, das gewissermaßen im Internet und auf der Bühne Premiere gefeiert hat. Die Uraufführung fand im Berliner Ballhaus Ost statt. Nun ist "Ulysses" im Werk X in Wien zu sehen.

Ulysses

Thomas Giger

Ein theatraler Nahkampf zwischen dem Schweizer Schauspielstar Bruno Cathomas als biederer Anzeigenakquisiteur Leopold Bloom und Mirco Kreibich als zweifelnder Dichter Stephen Dedalus.

Kulturjournal, 05.02.2015

Die Adaption epischer Großwerke für das Theater bleibt ein Trend. Seit Frank Castorf in den frühen Nullerjahren große Romane von Dostojewski oder Michael Bulgakow für die Bühne entdeckt hat, wurde die Literaturgeschichte zum kreativen Steinbruch für das deutschsprachige Theater. Der junge Regisseur und Filmemacher Marat Burnashev hat nun James Joyces Jahrhundertwerk "Ulysses" als Multimedia-Projekt neu interpretiert, ein Projekt, das gewissermaßen im Internet und auf der Bühne Premiere gefeiert hat.

Dieses Stück beginnt eigentlich im Internet. 14 Episoden aus James Joyces modernem Epos "Ulysses" hat der russischstämmige Regisseur Marat Burnashev in Form von Kurzvideos neu interpretiert. Jede Episode sucht einen Schauplatz des Romans auf: Von der Fleischhauerei, in der Anzeigenakquisiteur Leopold Bloom Nieren kauft bis hin zum Pub, in dem er einen über den Durst trinkt.

Die Irrfahrt durch die Großstadt Dublin macht Marat Burnashev zum fragmentierten Videoprojekt, das den Fokus allerdings auf die Statisten des Geschehens lenkt. Denn Leopold Bloom dargestellt vom Schweizer Schauspielstar Bruno Cathomas, bleibt ein Phantom, stattdessen hören wir Menschen, denen er begegnet ist: die Seifenverkäuferin, den Zeitungsredakteur, den Fleischauer.

Der Held des Banalen

Das eigentliche Bühnengeschehen setzt erst ein, wenn sich Leopold Bloom und Stephen Dedalus in der 15. Episode des Romans in einem Bordell in Dublin treffen. In der Inszenierung ist diese Begegnung der Anfang eines versteckt homoerotischen Pas de deux. Angeregt durch Stephen wirft Leopold Bloom bedeutungsvolle, aber ketzerische Fragen auf: "Ob es vor dem Tod ein Leben gibt. Das ist doch die Frage, die sich die meisten Menschen stellen, wenn sie sich das Fragestellen nicht abgewöhnt haben."

Mit Leopold Bloom hat James Joyce ganz bewusst einen banalen Charakter geschaffen. Bloom ist kein griechischer Held, der die Weltmeere bezwingt, sondern ein durchschnittlicher Charakter, der von seiner Frau betrogen wird und sich an den einfachen Genüssen des Lebens erfreut. Die Verkörperung der Rolle, so Bruno Cathomas, habe ihm besondere Freude bereitet.

"Dieser Roman selber ist eine intellektuelle Herausforderung sondergleichen und die Möglichkeiten der Interpretation sind gigantisch. James Joyce selber hat gesagt, dass hunderte Jahre vergehen werden und viele Wissenschaftler werden daran zu knabbern haben und das haben wir natürlich auch", sagt der Schweizer Schauspielstar Bruno Cathomas.

Wie nähert man sich nun diesem Gründungstext der literarischen Avantgarde, diesem Stream of Consciousness, der aus Wahrnehmungsfetzen, Gedankensplittern und literarischen Referenzen besteht. Das unwegsame Assoziationsfeld von "Ulysses" wird in Form von Videoprojektionen im Raum umgesetzt. Die Schauspieler agieren darin wie in einem offenen Trapez und alles gerät durcheinander: Sinneseindrücke, Halbsätze, Gedanken.

Stream of Consciousness für die Bühne

"Je mehr man sich mit dem Buch beschäftigt, desto mehr beschäftigt einen das Buch", sagt Bruno Cathomas, der heute Abend in Marat Burnashev Multimedia-Projekt "Ulysses" zu sehen ist. "Ulysses" ist ein interessantes Experiment für Zuseher und Zuseherinnen, die mit der literarischen Vorlage vertraut sind. Wer Joyce nicht gelesen hat, wird von diesem Abend allerdings nur wenig mitnehmen.

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