"Leviathan": Ein Film spaltet Russland
Kaum ein russischer Film hat zuletzt für so viel Aufsehen gesorgt wie "Leviathan" von Andrej Swjaginzew. Im Westen erhielt der Film bereits zahlreiche Preise, unter anderem beim Filmfestival in Cannes und auch den Golden Globe. Nun ist "Leviathan" auch für den Oscar nominiert.
8. April 2017, 21:58
Anstatt sich über diesen internationalen Erfolg des russischen Filmschaffens zu freuen, sorgt "Leviathan" in Russland selbst aber für heftige Kontroversen. Im Film wird nämlich der vergebliche Kampf eines einfachen Dorfbewohners gegen den korrupten Staat gezeigt. Sowohl die russischen Beamten als auch die orthodoxe Kirche kommen schlecht weg. In Zeiten der schlechten politischen Beziehungen Russlands mit dem Westen will von einer solchen Selbstkritik aber manch ein russischer Politiker und Kirchenvertreter nichts wissen. Nun ist mit einiger Verspätung der umstrittene Film "Leviathan" auch in den russischen Kinos angelaufen.
Mittagsjournal, 7.2.2015
"Wie aus dem Leben gegriffen"
Der Ansturm ist groß in diesem Moskauer Kino, lange hat man hier auf den vieldiskutierten Film gewartet. "Der Film ist wie aus dem Leben gegriffen", sagt eine ältere Dame, die aus dem Kinosaal kommt. "Das Leben wird schrecklich dargestellt in diesem Film", meint ein Besucher: "Aber womöglich ist das wirkliche Leben in Russland noch schlimmer". Und eine Frau wundert sich, dass der Film in Russland überhaupt gezeigt werden darf.
Gezeigt werden darf der Film, allerdings nur in zensierter Form. Wegen eines neuen russischen Gesetzes, das Flüche in öffentlichen Werken verbietet, werden Schimpfwörter ausgeblendet. Was der düsteren Geschichte von Leviathan kaum Abbruch tut.
Wider ein "seelenloses System"
Vor grandioser und zugleich hoffnungsloser Naturkulisse in der russischen Arktis wird das Schicksal eines Dorfbewohners erzählt, Nikolai. "Wo ist dein barmherziger Gott?", fragt er einmal verzweifelt den Dorfgeistlichen.
Doch Gott begegnet Nikolai nur in der Gestalt von machthungrigen kirchlichen Würdenträgern. Auch der russische Staat zeigt sich korrupt und menschenverachtend. Nikolai wehrt sich gegen die illegale Beschlagnahmung seines Grundstücks. Aber sein Kampf gegen den korrupten staatlichen und kirchlichen Machtapparat endet verheerend. Er verliert sein Haus, seine Familie und landet im Gefängnis.
"Der Film erzählt den Widerstand eines Menschen gegen ein seelenloses System", erzählt Produzent Alexander Rodnjanski. "Ein universelles Thema, das alle kennen, nicht nur in Russland."
"Antirussisches Machwerk"
Doch in Russland stößt der Film auf besonders heftige Kritik. Von Vertretern der orthodoxen Kirche wird er als antichristlich beschimpft und unter kremlnahen Politikern gilt er als vom Westen bestelltes antirussisches Machwerk. Der Film werde als Propaganda zum Genozid an Russen in der Ostukraine missbraucht werden, prognostiziert sogar der kremlnahe Politologe Sergej Markow: "Das russische Leben wird im Film als so miserabel dargestellt, dass es den Menschen genommen werden darf und die russische Staatsmacht als so schlimm, dass man sie ruhig zerstören kann."
Kulturminister Medinski verkündet unterdessen, dass sein Ministerium keine Filme mehr mitfinanzieren werde, die den russischen Staat so offen bespucken. Regisseur Andrej Swjaginzew selbst reagiert gelassen: "Hinter solchen Ideen verstecken sich Menschen, die den Spiegel, der ihnen im Film vorgehalten wird, von sich wegschieben wollen."
"Leviathan" treffe in der heutigen russischen Gesellschaft offenbar mitten ins Schwarze, sagt Swjaginzew, mitten in einen wunden Punkt. Ein wunder Punkt, mit dem in Russland viele nicht konfrontiert werden wollen.