Schreiben als Rettungsanker zum Überleben

Untertauchen

Die russische Dichterin und Literaturkritikerin Lydia Tschukowskaja lebte von 1907 bis 1996. Zwei ihrer Romane wurden ins Deutsche übersetzt, allerdings vor fünfzig Jahren. Einer davon wurde nun wiederaufgelegt, in der alten Übersetzung von Swetlana Geier: Untertauchen.

Lydia Tschukowskajas Roman "Untertauchen" spielt 1947 in Russland zur Zeit von Stalins Terrorherrschaft. Die Ich-Erzählerin des Romans, Nina Sergejewna, versucht zunächst einmal alle menschlichen Begegnungen zu meiden, um sich ihrem tief verletzten Inneren in Ruhe zuwenden zu können. Denn wie geht man mit Fragen um, auf die es keine Antworten gibt? Wo ist ihr Mann geblieben? Was ist mit ihm passiert? War es ein Traum? fragt sie, ein Alpdruck?

Das, wovon Lydia Tschukowskaja hier erzählt, ist ihr selbst zugestoßen: Ihr Mann, der Physiker Matwej Bronstein, war wie so viele andere ihrer Bekannten und Kollegen, nachts abgeholt und als Volksfeind verhaftet worden.

Lydia Tschukowskaja verfasste den Roman "Untertauchen" mit der Haltung der kritischen Dissidentin und im Bewusstsein, dass er nicht veröffentlicht werden konnte. Sie schrieb ihn für sich, um zu verarbeiten, was ihr widerfahren war. Das eigene Schreiben ist für Lydia Tschukowskaja ebenso wie für ihr Alter Ego Nina Sergejewna in "Untertauchen" der Rettungsanker zum Überleben, die russische Dichtung ist ihre Luft zum Atmen, die Worte von Kollegen wie Boris Pasternak und Anna Achmatowa, die dem inneren Ruf unter Gefährdung ihrer Existenz folgen, bieten Geborgenheit unter Gleichgesinnten in einer Umgebung der erzwungenen Gleichschaltung.

Ein innerer Konflikt, in dem sich eine ganze Generation aufrichtig Empfindender und Denkender befunden hat: Lydia Tschukowskaja hat ihm in "Untertauchen" ein erschütterndes Denkmal gesetzt.