Dem Gulag-Museum droht das Aus

Perm 36 - für viele Menschen war dieser Name gleichbedeutend mit einem Alptraum. Es war ein berüchtigtes Straflager der Sowjetunion, nach der Stadt Perm am Fuße des Ural gelegen. Seit 20 Jahren befindet sich dort Russlands einziges Museum auf dem Territorium eines ehemaligen Straflagers für politische Gefangene aus der Stalin-Zeit. Doch die kritische Aufarbeitung der Zeitgeschichte ist in Putins Russland offenbar nicht gefragt. Das Museum steht vor dem Aus.

Mittagsjournal, 21.03.2015

Tausende Lager für politische Gefangene

Lager, in denen politische Gefangene festgehalten wurden, hat es in der Sowjetunion Tausende gegeben. Spuren dieser Lager findet man heute aber nur noch wenige - die Lager wurden nämlich üblicherweise nicht länger als 5 oder 7 Jahre betrieben, nur solange die Arbeitskraft der Gefangenen genau an diesem Ort gebraucht wurde - etwa um einen Wald zu fällen oder eine Bahnlinie zu bauen. Dann wurden die meist hölzernen Baracken verlassen und sind meist ziemlich schnell verfallen.

Lager Perm-36

Das 1946 gegründete Lager Perm-36 ist eine Ausnahme, erzählt Robert Latypow. Er war Mitglied im Vorstand jenes Vereins, der das frühere Lager in der Nähe der Stadt Perm am Fuße des Ural-Gebirges in ein Museum verwandelt hat, und ist Leiter des lokalen Büros der Menschentrechtsorganisation Memorial: "Hier sind nicht nur die Bauten aus der Dissidenten-Zeit, also aus denn 70er und 80er-Jahren erhalten, sondern auch jene aus der Zeit des stalinschen Gulag-Systems. Von diesem System ist ja in der ganzen Sowjetunion fast nichts mehr übrig, nur noch Zeichnungen, Fotos, Erzählungen. Aber hier kann man das alles noch mit den Händen angreifen, die Baracken, die Umzäunung, das ist alles jetzt restauriert, hier ist also zu einem großen Teil erhalten, wie so ein Lager ausgesehen hat."

"Banditentum von Seiten des Staates

Dass ein historisch so bedeutendes Museum nicht vom Staat, sondern von einem privaten Verein betrieben wurden, war für Russland eine große Ausnahme, sagt Latypow. Aber diese Ausnahme ist dem Museum letztlich zum Verhängnis geworden, in allen Bereichen gehe der Staat nun ja gegen Nichtregierungsorganisationen vor und zwinge sie zur Selbsauflösung, so auch bei Perm-36. "Was wir erlebt haben, war eine Übernahme in Gangster-Manier. Eine Übernahme nicht nur des Territoriums und der Strukturen, sondern auch des geistigen Werkes des Museums. Das ist Banditentum, Banditentum von Seiten des Staates."

Museums-Verein verliert Kampf gegen Behörden

Eineinhalb Jahre hat der Museums-Verein um seinen Fortbestand gekämpft, doch nun ist dieser Kampf gegen die Behörden endgültig verloren. Der Verein hat seine Selbstauflösung beschlossen, und gegen ihn läuft jetzt auch noch eine Untersuchung wegen des Verdachtes, ein "ausländischer Agent" zu sein - eine Stigmatisierung, mit der in Russland nun oft Vereine belegt werden, die Spenden aus dem Ausland angenommen haben. Und auch, wenn es stets die lokalen Behörden aus Perm waren, die gegen den Museumsverein vorgegangen sind, so ist Latypow überzeugt, dass diese nur auf Anordnung aus Moskau tätig wurden, auf Anordnung einer politischen Führung, die nicht will, dass die Bevölkerung die Praktiken der Stalinzeit mit der Jetztzeit vergleicht.

Museum wird vom Staat betrieben

"Das Museum Perm-36 - das erzählt von der Vergangenheit. Aber in Wirklichkeit ist das natürlich auch eine Debatte über die Gegenwart, über die Erinnerungskultur, darüber, an was wir uns erinnern wollen, wie wir uns daran erinnern wollen, warum wir uns erinnern sollten, welche Schlüsse wir heute daraus ziehen. Und in welcher Art von Zukunft wir leben wollen." Eine Debatte, so meint Latypow, die die Politiker nicht vom Staat unabhängigen Historikern überlassen wollen. Das Museum Perm-36, so erzählt er, werde von den neuen staatlichen Eigentümern übrigens weiterbetreiben - nur, dass den Besuchern jetzt etwas anderes gezeigt werde. "Mit keinem Wort werden die politischen Repressionen erwähnt, nichts wird erzählt über die Dissidenten, die hier gessessen sind. Bei den Führungen heißt es jetzt: Da sind die Einzelzellen, hier eine typische Baracke, so haben die Betten ausgesehen, und das war der Speisesaal."

Museum mit anderem Schwerpunkt

Aus einem Museum, dass die Inhaftierung von Millionen Menschen in der früheren Sowjetunion aus politischen Gründen thematisiert hat, ist somit ein Museum über die Inhaftierung von Straftätern geworden. Wobei, so meint Latypow, nun wohl auch stets betont werden wird, wie wichtig solche Gefängnisse waren für den Schutz der Gesellschaft vor Verbrechern.