Der Islam, der uns Angst macht
Tahar Ben Jelloun im Gespräch
Der marokkanische Schriftsteller Tahar Ben Jelloun gilt als bedeutendster Vertreter der französischsprachigen Literatur aus dem Maghreb. Sein neuestes Buch, "Der Islam, der uns Angst macht", ist Jellouns Antwort auf die Pariser Terroranschläge im Jänner. Ein Gespräch über missbrauchten Islam, Bildung im Kampf gegen den Fundamentalismus und über arbeitslose Jugendliche.
8. April 2017, 21:58

EPA/IAN LANGSDON
Kulturjournal, 14.4.2015
Der marokkanische Schriftsteller Tahar Ben Jelloun gilt als bedeutendster Vertreter der französischsprachigen Literatur aus dem Maghreb. Zu seinen Werken, die teils in über 40 Sprachen übersetzt wurden, gehören Erzählungen und Romane; bekannt ist er aber auch für seine gesellschaftspolitischen Essays und Schriften. In wenigen Tagen erscheint im Berlin Verlag - als seine Antwort auf die Pariser Terroranschläge im Jänner - sein bisher letztes Buch auf Deutsch: "Der Islam der uns Angst macht ". Eva Twaroch hat den Schriftsteller in seiner 2. Heimatstadt Paris getroffen.
Ein Text mit dem Titel "Sieben Worte" bildet den Anfang des letzten Werkes von Tahar Ben Jelloun "Der Islam der uns Angst macht". Sieben Worte - geschrieben wenige Tage nach dem Anschlag auf "Charlie Hebdo". Nach den Worten "Freiheit" und "Wut" gibt das dritte Wort den Ton an: "Islam" lautet es. Tahar Ben Jelloun schreibt: Wie am Tag nach dem 11. September 2001, habe er nach den Pariser Attentaten sofort gedacht, der Islam werde auf der Anklagebank landen, und die Muslime werden die Rechnung für diesen Terror, diese ruchlosen Verbrechen, bezahlen.
Islam als Opfer einer Perversion
Ich treffe Tahar Ben Jelloun in seiner Pariser Wohnung, im Herzen des Künstler- Schriftsteller- und Intellektuellenviertels Saint-Germain-des-Prés. In Büchern, in Zeitungsartikeln, in Kommentaren und Petitionen hat er in den letzten Jahren immer wieder zu dem im Namen des Islam verübten Terror Stellung bezogen. So auch jetzt wieder in seinem mehrere Schriften umfassenden Werk über die Angst vor dem Islam. Tahar Ben Jelloun spricht davon, dass niemand vor dem Islam als Religion Angst zu haben brauche, dass der Islam aber von einigen benützt, missbraucht, pervertiert wird, und selbst Opfer dieser Perversion ist.
"Wie manche die göttliche Botschaft interpretieren, ist schrecklich - davor kann man Angst haben", sagt der Schriftsteller. "Diese Kriminellen töten und morden im Namen des Islam, und die Barbarei geht immer weiter, so dass die Zerstörung einer ganzen Kultur droht. Nehmen wir zum Beispiel eine Gruppe wie Boko Haram, die einen bedeutungsschweren Namen angenommen hat, denn Boko Haram heißt ‚das verbotene Buch‘. Aus dem Verbot der Kultur wird ein Ideal gemacht. Man landet da also in einer Welt, die nur sehr schwer zu verstehen ist."
"Ich glaube an Erziehung und Bildung"
Nur durch Bildung und Kultur könne gegen dieses Bild des Angst machenden Islam gekämpft werden betont Tahar Ben Jelloun in seinem letzten Buch. Er spricht von der Ignoranz auf beiden Seiten und davon, dass es nicht einen Kampf der Kulturen gibt sondern nur einen Kampf der Ignoranzen. Erziehung - darum geht es, daran glaubt Tahar Ben Jelloun. Dafür kämpft er, der früher in Marokko an der Universität Philosophie unterrichtet hat und auch Psychotherapeut ist.
"Nichts wird gehen, solange man die Kinder nicht erzogen hat, und sie - egal in welchem Land - nicht in der Geschichte der Religionen unterrichtet hat, und nicht nur des Islam. Auf objektive Weise muss man Ihnen sagen, worum es geht, Ihnen Antworten geben und vermitteln, welche Werte welche Religion vertritt. Das muss man machen, denn sonst haben die Extremisten ein leichtes Spiel, denn die Ignoranz ist nämlich enorm."
Generation ohne Zukunft
Frankreich habe sehr viel falsch gemacht betont Tahar Ben Jelloun, der heute in Tanger und in Paris gleichermaßen zu Hause ist. Es wurde zwar immer wieder in die Vorstädte investiert, aber das Geld ist irgendwo versickert, übrig geblieben ist, dass am Rande der Großstädte eine Generation ohne Zukunft herangewachsen ist, sagt der Schriftsteller.
"Sie fühlen sich im Stich gelassen, nicht anerkannt. Sie haben den Eindruck, dass sie hier nicht zu Hause sind. nicht alle natürlich, aber es gibt 45 Prozent Arbeitslose unter Ihnen. In Frankreich liegt der landesweite Durchschnitt bei 10 Prozent, aber bei den Jugendlichen mit Migrationshintergrund sind es 45 Prozent - die nicht arbeiten, die nichts machen und die irgendwem einfach folgen können. Einem Guru, einem Drogenhändler, einem Imam, der sie anspricht, einem Abenteurer der sie nach Amazonien mitnehmen will. Es genügt, sie zu verführen, mit Geld oder mit der Hoffnung ins Paradies zu kommen, sie glauben das alles."
Arbeit in den Schulen
In seinem Buch "Der Islam, der uns Angst macht" erinnert Tahar Ben Jelloun daran, dass sich Schüler in Frankreich geweigert haben, am Tag nach den Pariser Anschlägen eine Schweigeminute einzuhalten, um die Opfer zu ehren. So unbedeutend die Zahl auch bleibt, weil nur 70 von 64.000 Schulen betroffen waren. Seit Jahren schon geht er regelmäßig in die Schulen, um zu erklären, zu informieren und zu überzeugen. Jetzt appelliert er an alle Schriftseller, Künstler, Intellektuelle, Handwerker, alle, die können, wie er sagt, es ihm gleich zu tun.
"Ein Schriftsteller ist für mich jemand, der in der Literatur lebt und in den Büchern, gleichzeitig aber auch im Alltag mit anderen Menschen. Ich gehe dauernd in die Schulen, denn da finde ich Inspiration, ich spreche mit den Schülern, und das ermöglicht mir weiterzumachen. Auf der einen Seite gebe ich ihnen meine Erfahrungen weiter, auf der anderen Seite lasse ich mich aber auch von Ihren Erfahrungen für mein Schreiben inspirieren."
Wenn man in dieser Zeit aus einem arabischen Land stammt, dann sei es schwer einfach zu schweigen, sagt Tahar Ben Jelloun. Er versuche eben sich nützlich zu machen, fügt er hinzu. Bescheiden ist er geblieben, der zwischen Frankreich und Marokko pendelnde Schriftsteller, der, nachdem er mit seinen Romanen und Erzählungen weltweit erfolgreich war, nun mit seinem letzten Werk "Der Islam, der uns Angst macht" überzeugt.