Roman von Anthony Doerr

Alles Licht, das wir nicht sehen

Für seinen Roman "All the Light We Cannot See" wurde Anthony Doerr vor gut zwei Wochen mit dem Pulitzer-Preis für literarische Fiktion geehrt. Begründung der Jury: Es handle sich um einen ideenreichen und vertrackten Roman, angeregt von den Schrecken des Zweiten Weltkriegs, geschrieben in kurzen, formschönen Kapiteln, der sowohl die menschliche Natur als auch die widersprüchliche Macht der Technik erforsche.

Eine Stadt am Wasser

C. H. BECK

Während sich der Roman - Doerrs fünfter Prosaband - in den USA lange auf Platz eins der Bestsellerlisten hielt, vom britischen "Guardian" zum besten Buch des Jahres 2014 gekürt wurde und darüber hinaus für Übersetzungen in dutzenden Ländern und auch für eine Hollywood-Verfilmung vorgesehen ist, floppte eine erste, bereits im Vorjahr erschienene Ausgabe im deutschen Sprachraum. Bemerkenswertes Ereignis Nummer zwei rund um den Pulitzer-Preis ist die Tatsache, dass der deutsche Verlag nicht locker lässt und Anthony Doerrs "Alles Licht, das wir nicht sehen" nun noch einmal herausgebracht hat.

Der Funk-Techniker Werner Hausner arbeitet zwar für die Nazis, aber der Autor zeigt ihn nicht als Bösewicht und zeichnet ihn überdies weitaus filigraner als seine zweite Heldin, die blinde französische Widerstandskämpferin Marie-Laure. Was Werner rettet, ist sein Genie: Er entwickelt eine Formel, um feindliche Sender aufzuspüren. Da ist er gerade 15 und in Schulpforta auf einer Napola-Schule. Später wird er als Kopf eines technischen Trupps überall in Europa sogenannte Widerstandsnester ausheben. Nur einen Sender wird er nicht verraten, und das ist der von Marie-Laure in Saint Malo an der bretonischen Küste. Denn er hat sich in ihre Stimme verliebt. Und plötzlich bekommt er Lust zu leben.

In seinem neuen Roman urteilt Doerr nicht. Er schreibt nicht von Nazischlächtern und heroischen Widerstandskämpfern, sondern lotet die Charaktere einerseits tief aus, überpudert andererseits die ganze Szenerie, mit einer Magie, die dem Roman etwas Unwirkliches verleiht und gleichzeitig seinen Zauber ausmacht. Es geht ihm um die Momente der Hoffnung in einer dunklen Zeit: Alles Licht, das wir nicht sehen. Doerr ist ein Meister der Spannung. Das Problem ist nur, dass man deshalb bald vom Lesen zum Inhalieren übergeht, so dass jeder poetische Satz einem als Hindernis bei der Verfolgung des Plots erscheint.

Service

Anthony Doerr, "Alles Licht, das wir nicht sehen", aus dem Englischen Werner Löcher-Lawrence, C.H. Beck Verlag