"Randnotizen" von Nadja Kwapil

Zum Anfang

Wie lange dauert ein Anfang? Vielleicht fangen Sie gleich ein Gespräch mit jemandem an? Ein Vorstellungsgespräch, vielleicht; Sie fangen neu an, neue Aufgaben warten auf Sie, er-warten Sie. Sind Sie dann Anfängerin?

Wo ist das Ende vom Anfang? Wann hört das Anfängersein auf? "Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne", hat der Schriftsteller Hermann Hesse gesagt. Jedem Anfang wohnt ein Schauder inne, sage ich, der uns in einen Schwebezustand schickt, einen Zustand der Orientierungslosigkeit.

Niemand entkommt Anfängen, alles hat einen Anfang, dem Anfang sind wir ausgeliefert. Der Anfang, das ist das Ungewohnte, die noch leere, unmöblierte Wohnung. Das Neue, das noch verpackte Notebook. Das Fremde. Das Nicht-Vertraute, Unvorhersehbare. Ein kurzer Moment der Anspannung vor einem Gespräch, bestenfalls. Der Ausbruch einer Kontrollmanie über eigene Gesten, Mimik, Worte, Sätze, schlimmstenfalls. Aller Anfang ist schwer.

Zurück - zum Anfang

Er kannte ihn nicht. Er kannte den neuen Auftraggeber in spe nicht. Vor einem Jahr ist er, Antoine, ein Freund aus Frankreich, in Wien angekommen. Für einen Neuanfang. Er, langjähriger Uni-Dozent, sucht Arbeit in einem Fremdspracheninstitut. Zwölf Vorstellungsgespräche hat er hinter sich. Zwölf Anfänge. Ohne Fortsetzung, ohne Ende. Den nächsten potenziellen Arbeitgeber traf Antoine in einem Caféhaus. Nach fünf wortkargen E-Mails, die sie einander geschickt hatten - mit "besten Grüßen", unter den ersten beiden Nachrichten, mit "freundlichen Grüßen" unter den folgenden beiden. "LG" schrieb der Wunscharbeitgeber unter sein letztes E-Mail. Antoine freute sich über diese Entwicklung.

Ich war dabei, als er ihn traf, als eine Art Dolmetscherin - "für den Anfang, sicherheitshalber", bat Antoine, als Geländer, falls er doch über deutsche Ausdrücke stolpern sollte. Nervös war er, trug einen neuen Anzug. Er roch nach neuem Stoff. Ein Stück der feinen, durchsichtigen Plastiklasche, an der das Preisschild gehangen war, ragte aus seinem Sakkokragen, als der Arbeitgeber in spe auf uns zukam. Antoine ist aufgestanden, hat den Mann in legerem Polo und Jeans angelächelt, hat beide Augen zusammengekniffen, damit das Lachen echt aussieht, vermutlich, ansatzweise herzlich.

"Die erste Begegnung ist wichtig", hat Antoine auf dem Weg ins Caféhaus gesagt, "den Anfang darf man nicht verpatzen." Dieser Zeitabschnitt ist empfindlich wie ein Bonsaibaum. Antoine hat seinem Gesprächspartner die Hand gegeben, sie geschüttelt und wohl gehofft, dass Sympathie unter seinem festen Händedruck entweicht. Eine halbe Stunde war Antoine damit beschäftigt, seine Kompetenz zu beweisen. Gemeinsamkeiten zu suchen, die es nicht gab. Den kalten Raum, in dem sie saßen, mit freundlichen Worten zu tapezieren.

Zum Anfang - zurück

Einen Werkvertrag auf Honorarbasis bot der Arbeitgeber in spe ihm in der zweiten halben Stunde an. Für den Anfang, zum Testen, um einander kennenzulernen, meinte er- ein anständiges Angebot sei das, für einen "Anfänger" in seinem Institut, in diesem Land, für jemanden, der einen Neuanfang hier wagt. Für ewig auf Anfang?

Wie lange dauert ein Anfang? Vielleicht eine Frage der Verhältnismäßigkeit, der Beziehung von Anfang, Mittelteil und Schluss zueinander. In dem Zeitrahmen, der uns für bestimmte Ereignisse und Abläufe zur Verfügung gestellt wird.

Aber nicht alles was anfängt, macht den Anfangenden zum Anfänger. Dilettant ist, wer sein Handwerk nicht beherrscht, der es erst erlernen muss. Wer schneller lernt, ist kürzer Anfänger. Man muss kein Anfänger sein, um weiterlernen zu wollen. Kein Anfang dauert ewig.