Münchner Ausstellung "Geniale Dilletanten"

Die Subkultur der 1980er Jahre in Deutschland beleuchtet das Haus der Kunst in München in der Schau "Geniale Dilletanten". Der Titel bezieht sich auf einen absichtlich falsch geschrieben Flyer von 1981, der ein Festival in Berlin bewarb. Dabei traten u.a. die Einstürzenden Neubauten, Die Tödliche Doris oder Sprung Aus Den Wolken auf.

Das Festival hatte Folgen: Das Durchbrechen gängiger Konventionen der Rock- und Popgeschichte war auf einmal angesagt, das Nicht-Virtuose, amateurhaft Wirkende, Verspielt-Subversive. Der Geist der "genialen Dilletanten" hat nicht nur die experimentelle Musik angeregt, sondern auch Einfluss gehabt auf Mode, Design, Film und bildende Kunst der damaligen Zeit - wie die Ausstellung im Haus der Kunst belegt.

Kulturjournal, 7.7.2015

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Haus der Kunst - "Geniale Dilletanten". Subkultur der 1980er-Jahre in Deutschland

Konzeptionelles Kunstprojekt der Tödlichen Doris

"Wie still es im Wald ist" - so lautete ein Song, den 1982 "Die Tödliche Doris" heraus-brachte. Die Tödliche Doris - das war eine von Kunststudenten in West-Berlin gegründete Underground-Band, die in den sieben Jahren ihres Bestehens eine Vielzahl von Schallplatten und Kassetten herausbrachte und sich von Anfang an als konzeptionelles Kunstprojekt verstand: Sie produzierte nicht nur Musik, sondern auch Kunstobjekte, Installationen, Texte, Super-8-Filme und Fotografien und machte aus ihren Auftritten schrille Performances mit schrägen Kostümen.

Dass es damals, vor gut 30 Jahren, in Deutschland noch eine Reihe anderer Bands gab wie Die Tödliche Doris, die gegen den Mainstream rebellierten, die Musik machten, obwohl sie eigentlich gar keine Musiker waren, die mit Lärm und Geräusch und selbst-gebastelten Instrumenten experimentierten und jegliche Grenzen zu durchbrechen trachteten, das zeigt die von Mathilde Weh kuratierte Ausstellung mit dem Titel "Geniale Dilletanten. Subkultur in Deutschland in den 1980er Jahren", eine Kooperation von Goethe-Institut und Haus der Kunst in München.

Was Subkulturen bewirken

"Uns hat interessiert, was gibt es noch für Subkulturen, was bewirken Subkulturen, haben die noch einen Stellenwert, so wie früher? Und dann kamen wir auf die 80er Jahre", erklärt Mathilde Weh. "Die 80er Jahre waren eigentlich eine sehr spannende Zeit, wo quasi eine Aufbruchsstimmung war, die sich abgrenzte von den 70ern, die weg wollte von diesen perfekten Pop- und Rock-Produktionen, hin zum Dilettantismus. Das Nicht-Können wurde quasi produktiv."

"Geniale Dilletanten" - so hieß ein Festival, das im September 1981 im Berliner Tempodrom stattfand, bei dem Post-Punk- und experimentelle Bands auftraten, aber auch musizierende Künstler. "Geniale Dilletanten" - so hieß aber auch ein von Wolfgang Müller, einem der Begründer der Tödlichen Doris, herausgebrachter Textband, der schnell Furore machte und beweisen wollte, dass Kunst bzw. Musik nicht perfekt, nicht schön und schon gar nicht virtuos sein muss.

Do-it-yourself war in

"Die Idee von Beuys - jeder ist ein Künstler -, das kann man ja auch übersetzen: jeder ist ein Musiker, jeder gründet eine Tageszeitung, jeder gründet eine eigene Musikzeitung", sagt Wolfgang Müller. Die "genialen Dilettanten" lehnten das Rockstargehabe, die pseudo-authentische Selbst-entäußerung total ab. Sie liebten das Amateurhafte, Improvisierte und Selbstgebastelte. Do-it-yourself war angesagt: "Keine schwitzenden Musiker auf der Bühne, nicht die eigene Befindlichkeit zelebrieren, keine Texte über das Innenleben der Mitglieder" war die Devise der Freiwilligen Selbstkontrolle, einer Band aus München.

Der Erfolg dieser Gruppen wäre nicht möglich gewesen ohne neue, erschwingliche Aufnahmegeräte, die teure Tonstudios überflüssig machten, und selbstgegründete Labels gründeten, Clubs und Magazine. Sie schufen eigene Netzwerke und Vertriebswege, die unabhängig machten von den großen Musikproduzenten.

Einstürzende Neubauten u.a.

In Berlin formierten sich um Blixa Bargeld die Einstürzenden Neubauten, die bis heute vielleicht bekannteste dieser Subkultur-Blüten, die, außer mit konventionellen Instrumenten, auch mit Schrott, Hämmern, Fässern, Bohrmaschinen und Sägen Klänge erzeugten. In Hamburg gründeten Kunsthochschüler das "Palais Schaumburg", das vom Dadaismus beeinflusst war und mit vermeintlich "urdeutschen" Zeichen und Symbolen spielte. In Düsseldorf entstanden die Deutsch Amerikanische Freundschaft, die internationale Erfolge feierte und Elektropunk und Techno inspirierte, und Der Plan, eine Gruppe, die mit skurrilen Masken, Kostümen und selbst gemalten Bühnenbildern auffiel.

"Gerade, wenn man aus der bildenden Kunst kommt oder als Filmemacher Musik macht, dann experimentiert man natürlich auch mit den Medien", sagt Mathilde Weh. "Es war in den 80ern plötzlich so, dass man genreübergreifend gearbeitet hat, dass man eben mit allen verfügbaren Medien auftrat. Und die Performance war ganz wichtig. Es ging nicht nur um die Qualität der Musik, sondern es ging um ein Gesamtkunstwerk oder ein Gesamtkonzept."

Verbotene Band "Ornament und Verbrechen"

Dass genial-dilettantisches Musikmachen keine rein westdeutsche Spezialität war, belegt eine Gruppe, die sich - nach einer Schrift von Adolf Loos - "Ornament und Verbrechen" nannte. Die Ost-Berliner waren äußerst erfinderisch im Klangerzeugen und Instrumentebauen: Der Auspuff eines Mopeds diente als Blas-, ein mit Legosteinen gefüllter Plastikkanister als Percussion-Instrument. Offiziell waren Ornament und Verbrechen verboten - so spielte man illegal in Kirchen, Küchen, Galerien, in Schrebergärten oder bei Dichterlesungen.

"Es war eigentlich eine Arbeit für einen Sympathisantenkreis, eine kleine Szene. Es gab keine Medien, über die man das verbreiten konnte", sagt Ronald Lippok, der zusammen mit seinem Bruder Robert Ornament und Verbrechen gründete. "Wir waren nicht Dissidenten in diesem klassischen Sinn; das war eher wie eine Parallelwelt. Weil man gesagt hat: Wir leben unseren Surrealismus. Das war aber automatisch schon ein Statement. Man musste in der DDR, um offiziell aufzutreten zu dürfen, vor einer Jury spielen und seine Texte einreichen, und die Jury hat darüber entschieden, ob du spielen darfst oder nicht. Wenn du das nicht gemacht hast, warst du automatisch illegal."

Wucht und Verve der Neuen Wilden

Dass in dieser Zeit Musik und bildende Kunst nicht zwei getrennte Szenen waren, sieht man schon daran, dass viele Mitglieder dieser Bands von der Kunsthochschule kamen, mit Künstlern befreundet waren, und Maler wie A. R. Penck oder Salomé auch Musik machten. Die zum Teil riesigen Formate der Neuen Wilden umrahmen die Ausstellung: Bilder, die manchmal freilich allzu plakativ und nicht so verschmitzt-subversiv wirken wie die Aktionen der Bands.

"Dann gab es im Design das Neue Deutsche Design, dort wurde auch mit Materialien gearbeitet, die nicht darauf abzielten, in eine Serienproduktion zu gehen, sondern es wurde sehr experimentell gearbeitet", erklärt Mathilde Weh: "Es gab im Bereich Film durch die Möglichkeit, in Super-8 zu drehen, plötzlich auch sehr viele experimentelle Filme. Und auch Musikvideos, das war auch damals im Kommen, das gab es vorher auch in der Form noch nicht."

Mathilde Weh hat eine sehr schöne, kompakte und informative Ausstellung zusammengestellt, die viel spüren lässt von dem Witz, Esprit und Einfallsreichtum, aber auch von der Wucht und Verve und Unbekümmertheit, die, ausgehend von der Musik, auch auf andere Sparten übergriffen und "genialen Dilletantismus" zum Erfolgsmodell machten - ein Modell, das sich auch heute nicht überlebt hat.