Studie von Alice Goffman
On The Run
Sie hat beim Wechseln der Fahrspur nicht geblinkt, wurde daraufhin verhaftet und verstarb in der Polizeizelle. Schwarze werden in den USA anders behandelt als Weiße. Sie werden kriminalisiert. Und das habe System, meint die Soziologin Alice Goffman. Nun hat sie darüber ein Buch vorgelegt: "On The Run - Die Kriminalisierung der Armen in Amerika".
8. April 2017, 21:58
Sechs Jahre lang hat Alice Goffman in einem Viertel von Philadelphia gelebt und geforscht, das man gemeinhin als Ghetto bezeichnet, wenngleich es offiziell keine abgetrennten Stadtteile gibt.
Zitat
Dass die Zahl der Menschen, die in US-Gefängnissen sitzen, innerhalb der letzten vierzig Jahre um das Fünffache angestiegen ist, hat bisher kaum für öffentliche Empörung gesorgt. Tatsächlich wird es von den wenigsten überhaupt wahrgenommen, da sich die steigende Gefangenenzahl überdurchschnittlich aus Personen, die in armen Schwarzen Communitys leben, zusammensetzt.
In einem solchen Umfeld bilden sich Parallelgesellschaften, die keinerlei Bindung an den Staat haben, die den Alltag nach eigenen Regeln gestalten, weil ihnen beim Überleben keine andere Regel hilft. Staatliche Regeln, also Gesetze, erleben sie als tägliche Behinderung, durch Polizeibeamte, Staatsanwälte und Richter.
Die gegenwärtige, vom Kapitalmarkt abhängige Politik - nicht nur in den USA - produziert viel Reichtum und noch viel mehr Armut. Von Verteilungsgerechtigkeit kann keine Rede sein. Wenn die Reaktion nun darin besteht, die Armen in Ghettos zu verräumen und sie durch Kriminalisierung zu disziplinieren, wird man sich in Zukunft in Verhältnissen finden, die man sich heute noch nicht vorstellen möchte. Den Blick in die Zukunft richtet Goffman nicht. Sie hält fest, was jetzt ist. Aber eine Ahnung davon, wie eine ganze Gesellschaft ins Rutschen kommt, vermittelt ihr Buch durchaus.
Service
Alice Goffman, "On The Run - Die Kriminalisierung der Armen in Amerika", Kunstmann Verlag