von Matthias Däuble

Wort der Woche: "Doktrin"

Es geht um die Arktis, die NATO, um China und die Krim: Russland hat am vergangenen Sonntag seine neue Marinedoktrin öffentlich bekannt gegeben: "Doktrin" leitet sich aus dem lateinischen ab. Doctrina heißt eigentlich "Lehre" und wird manchmal auch als "Theorie" übersetzt.

Soldaten warten  auf Klappstühlen

Eine Doktrin soll Stärke demonstrieren - und ist dabei meistens ein Zeichen von Schwäche.

Apa/Helmut Fohringer

Kein Vertrag

Ein politisches Leitbild, das einseitig deklariert wird.

Kein Vertrag

"Doktrin ist vor allem ein Begriff der Außen- und Sicherheitspolitik und meint am ehesten ein politisches Leitbild, das in der Regel einseitig deklariert wird", sagt Ulrich Brand, Professor für Internationale Politik am Institut für Politikwissenschaft der Uni Wien. Eine Doktrin ist laut Brand nicht das Ergebnis von Verhandlung - und damit auch kein Vertrag.

Auf dem Weg zur Putin-Doktrin?

Am vergangenen Sonntag wurde der russische Marinetag in Kaliningrad begangen, mit Leistungsshowspektakel von Marineeinheiten, Veteranen mit ordenbeschwerter Brust und einer Präsidentenrede mit einem ordentlichen Schuss patriotischem Pathos. Bei der Gelegenheit machte Russland seine neue Marinedoktrin öffentlich. Der Inhalt in Kürze: Die Arktis und ihre Bodenschätze, der Atlantik und die Krim sind ab sofort die wichtigsten strategischen Interessen, mit China soll enger kooperiert werden.

Noch heißt die neue Doktrin schlicht Marine Doktrin; sollte sie sich als bedeutsam erweisen, was angesichts des beginnenden Wettlaufs um die Ressourcen der Arktis denkbar ist, wird sie vielleicht als Putin-Doktrin in die Geschichte eingehen, sagt Politologe Ulrich Brand.

Die Monroe Doktrin

Wir mischen uns nicht in Europa ein - aber ihr mischt Euch auch nicht bei uns ein.

Monroe und der Wiener Kongress

Regierungschefs und Oberhäupter mit Geltungsdrang geben gerne und häufig Doktrinen aus, in die Chroniken schaffen es nur wenige davon, und wenn, dann tragen sie meist den Namen des verantwortlichen Staatsmanns. Bis heute eine rein männliche Angelegenheit.

"Eines der prominenten Beispiele ist sicherlich die Monroe-Doktrin von 1827", erklärt Brand: "James Monroe, der damalige Präsident, hat 1823 nach dem Wiener Kongress erklärt: wir mischen uns nicht in Europa ein, aber ihr mischt euch auch nicht bei uns ein."

Zu "bei uns" gehörte nach dieser Definition allerdings auch Lateinamerika, auf das die USA hegemonialen Anspruch stellten - mit Nachwirkungen bis in die Gegenwart. Was Europa anging, blieb die Monroe-Doktrin fast ein Jahrhundert lang in Kraft, bis die USA in den Ersten Weltkrieg eintraten.

Unsichere Zeiten

Doktrinen entstehen in Zeiten von Unsicherheit

Auf der Suche nach Halt

Doktrinen entstehen laut Brand häufig in Zeiten von Unsicherheit: "Zum Beispiel die Truman-Doktrin von 1947, wo Harry Truman, der US-Präsident sagte: wir helfen den Ländern - den freien Völkern wie er gesagt hat - gegen den Einfluss des Kommunismus." Demgegenüber stand 1968 die Breschnew-Doktrin, die unter dem Eindruck des Prager Frühlings formuliert wurde. Ihr Grundsatz: " wir lassen die sozialistischen Länder nicht angreifen", erklärt Brand. Auf der anderen Seite, so Brand stand in den 1980er Jahren die Reagan Doktrin, "die gesagt hat: jetzt fahren wir den Kalten Krieg hoch, jetzt besiegen wir das Reich des Bösen, wo dann ja wirklich die Aufrüstung kam."

Säbelrasseln

Doktrin heißt ja auch, wenn man so will, ein Stück weit "Dogma"

Das Dogma postulierter Stärke

Der Einmarsch auf der Krim, die Osterweiterung der NATO, Wirtschaftskrise im Land: aus realpolitischer Sicht hat Russland Anlass zur Unsicherheit.

Ulrich Brand: "Die Idee einer außenpolitischen Doktrin ist immer ein bisschen Säbelrassen. Seien wir doch ehrlich: Putin will Säbelrasseln, er will in die großen westlichen Medien. Reagan wollte in die Medien, Truman wollte in die Medien. Das ist die Symbolik der Doktrin. Und Doktrin heißt ja auch, wenn man so will, ein Stück weit "Dogma". Wir setzten etwas unilateral und die anderen haben sich daran zu orientieren."

Klug ist eine Doktrin in ihrer Einseitigkeit meist nicht, sagt Ulrich Brand, und sie hat oft genug Nebenwirkungen. Die Bush-Doktrin nach dem elften September, zum Beispiel: Der sogenannte Krieg gegen den Terror heizte die Sache erst richtig an, der IS könne als Konsequenz angesehen werden. Die Bush-Doktrin sei dramatisch gescheitert, sagt Politologe Brand: "Eine Doktrin in ihrem unilateralen, ihrem einseitigen Charakter, hat oft auch etwas defensives. Man könnte die Doktrin von Putin auch so auslegen, dass er schon um die Stärke des Westens weiß, dass er versucht die Reihen zu schließen. Das ist sicherlich sein cäsaristisches Argument: er will der große Zar sein, ein Stück weit Neuorientierung nach Osten, aber insgesamt kommt es natürlich auch aus einer Position der Schwäche."