Lois Hechenblaikners neuer Fotoband
Der Alpenraum ist zu einem emotionalen Wohlfühlkissen geworden, davon ist der Fotograf Lois Hechenblaikner überzeugt. In seinem aktuellen Bildband "Hinter den Bergen" stellt er die Gegenwart dem Damals gegenüber - die hedonistische Freizeitindustrie der bäuerlichen Lebensweise.
25. April 2017, 14:25

LOIS HECHENBLAIKNER
Kulturjournal, 28.8.2015
Juliane Nagiller
Seit Jahren zeigt der aus Reith im Alpbachtal stammende Lois Hechenblaikner in seinen Werkserien ungeschönt die Auswüchse von Massentourismus und Großveranstaltungen in Tirol. Er blickt hinter den Schleier, den die Tourismusindustrie über Tirol gelegt hat. Dort sind seine Arbeiten daher nicht allzu gern gesehen. Beim Forum Alpbach referiert Hechenblaikner heute Abend über seine Arbeiten.

Ellmau am Wilden Kaiser, 2002
LOIS HECHENBLAIKNER
Service
Beim Forum Alpbach referiert Lois Hechenblaikner heute Abend über seine Arbeiten. Sein Bildband "Hinter den Bergen" ist im Frühjahr im Steidl Verlag erschienen.
Lois Hechenblaikner, "Hinter den Bergen", Fotoband, Steidl Verlag
Lois Hechenblaikner
"Vieles ist entglitten"
Schroffe Berggipfel, saftige Almwiesen, ein reisender Wildbach, Holzfassaden mit roten Balkonblumen - Tirol hat sich als touristischer Sehnsuchtsort etabliert. Lois Hechenblaikner ist inmitten dieser Idylle groß geworden. Er ist in einer Gastronomie-Familie aufgewachsen und damit auch mit dem Tourismus. Schon als Kind war er auch zu Hause ständig von Gästen umringt. Den Tourismus an sich verteufelt er jedoch nicht: "Karl Kraus hat etwas Wunderbares gesagt: ‚Im Fremdenverkehr kommen die Gäste auf ihre Rechnung und auf unsere.‘ Und das finde ich einen der schönsten Aphorismen, die ich dazu gehört habe. Tourismus kann ein wunderschönes Gewerbe sein, wenn eine gegenseitige, respektive Wertschätzung geschieht zwischen Gast und Gastgeber. Aber in dieser massentouristischen Welt ist da vieles entglitten."
Vermarktung der Bauern
Der übersteigerte Massentourismus führt zu einer Industrialisierung der Alpen, so Hechenblaikner. Die Auswüchse zeigt er in seinen fotografischen Werkreihen: Liftanlagen und überfüllte Parkplätze, beschneite Pistenabschnitte inmitten einer grünen Landschaft oder Après-Ski-Almen unten im Tal. "Mich hat immer sehr beschäftigt, dass die Tourismuswirtschaft maßgeblich die Kulturleistung des Bauernstandes vermarktet. Das heißt, man bedient sich einer anderen Branche und dreht das vielfach durch den Fleischwolf. Und was mich als Fotograf, als visuell wahrnehmender Mensch sehr belastet hat, ist, wie unsensibel oft umgegangen worden ist, und in welchem kurzen Zeitfenster der Alpenraum hier umgestaltet worden ist."
Hinter den Bergen - damals und heute
In seinem Bildband "Hinter den Bergen" konfrontiert Lois Hechenblaikner die Gegenwart mit der bäuerlichen Vergangenheit. Schwarz-Weiß-Fotografien aus dem Archiv des Agraringenieurs Armin Kniely stellt er eigenen, motivähnlichen Aufnahmen gegenüber: Wo einst ein Hirte seine Schafherde weiden ließ, wandert nun Hansi Hinterseer mit seinen Fans. Einer Viehversteigerung mit Kühen in Reih und Glied stellt er einen vollen Parkplatz bei einem Schilift gegenüber; Kühen, die in der verschneiten Landschaft bei einem Stadl Unterschlupf suchen - Touristen, die sich nach einem Schitag um den Après-Ski-Kuhstall drängen.
Augen- und Sinnfälliges im Wandel
"Augenfälliges verwandelt sich in Sinnfälliges - über das formale Sehen. Das heißt: wir docken optisch an. Ich vergleiche das immer mit einem Kind. Bevor es lesen und schreiben kann, kann es Formen lesen. Es gibt diese Setzkästen, darin sind Dreiecke, Sechsecke, Kugeln oder Vierecke. Wir nehmen zuerst etwas immer visuelle wahr - es ist augenfällig. Und wenn wir diese Gegenüberstellung sehen, dann beginnt die Sinnfälligkeit. Wir wissen, dass diese Bilder eigentlich gar nicht zusammengehören, und trotzdem haben sie etwas Gemeinsames."
Zillertaler-Schürzenjäger-Schau: verboten
Hechenblaikner zeigt was unter der Oberfläche des alpinen Idylls liegt: die inszenierte Tourismuswelt Tirol. Und die will man in Tirol nicht gerne wahrnehmen. Seine Ausstellung über die Fans der Zillertaler Schürzenjäger wurde Ende der 1990er Jahre in Mayrhofen sogar verboten. "In Tirol stelle ich nicht aus - oder nicht mehr aus. Ich publiziere meine Bücher in Deutschland und umschiffe dieses Land sozusagen. Das ist einer der Hauptwirtschaftsfaktoren dieses Landes, und daher fehlt auch die Distanz, diese Themen in einer bestimmten Tiefengrammatik sachlich zu diskutieren."
Grotesk und beklemmend
Die 65 Bildpaare hinterlassen einen grotesken und beklemmenden Eindruck. Die Ähnlichkeiten, die der fotografische Autodidakt Hechenblaikner entdeckt, sind stark. Und die Gegenüberstellungen erzeugen ein neues Bild von Tirol. Der Künstler sieht seine Arbeiten in der Tradition von August Sander. Der deutsche Fotograf ist einer der Bedeutendsten des 20. Jahrhunderts. Bekannt ist er für seine Porträt-Serie "Menschen des 20. Jahrhunderts". Ebenso Unaufgeregt und sachlich wie Sanders, will Hechenblaikner die Veränderungen des alpinen Raumes festhalten. Er will seiner Heimat den Spiegel vorhalten, ihr zeigen, dass sie von einer agrarwirtschaftlichen Nutzlandschaft zu einer benutzten Freizeitlandschaft umfunktioniert wurde.