Viele Syrer wollen aus Türkei weg

Etwa zwei Millionen Syrer halten sich derzeit in der Türkei auf, nur ein kleiner Teil davon befindet sich in Flüchtlingslagern. Viele sind in die großen Städte weitergezogen. Allein Istanbul zählt mehr als 300.000 syrische Flüchtlinge. Zuviele, als dass die Türkei alle integrieren könnte. Und so wollen viele weiter.

Morgenjournal, 29.8.2015

Es ist ein gefährliches Viertel. Vor allem nach Einbruch der Dunkelheit. Der Stadtteil Aksaray ist das Rotlicht- und Drogenviertel Istanbuls. Und ein Zentrum der Schlepperindustrie. Gerade vier Stationen mit der Straßenbahn sind es von hier zu den größten Tourismusattraktionen der Stadt. Die gefühlte Distanz ist deutlich größer.

Man hört hier mehr Arabisch als Türkisch. In den Hinterzimmern von Geschäften und Kaffeehäusern oder einfach auf offener Straße werden billige Jobs und schäbige Unterkünfte vermittelt. Oder Telefonnummern ausgetauscht der Schlepper und ihrer vielen Handlanger. Rund um den großen Brunnen vor der Metrostation stehen Menschentrauben. Junge syrische Männer mit Rucksäcken, syrische Familien mit Rollkoffern. Manche gerade erst angekommen, andere bereit für den Sprung nach Europa. Hier treffen wir Ahmed, einen Palästinenser aus Syrien. Er ist staatenlos, hat keinen regulären syrischen Pass. Weil er als Palästinenser schon dort Flüchtling war. Er ist Mitte 20 und studierter Ingenieur erzählt er uns. Er wartet, dass er abgeholt wird von seinem Schlepper. Über Griechenland will er nach Deutschland: Ahmet, syrischer Palästinenser:

„Europa ist kein Traum von mir, sondern es die einzige Lösung für mein Leben und meine Zukunft. Ich arbeite hart daran, dass ich es schaffe. Ich bin mit Freunden und Verwandten dort in Kontakt, sie helfen mit, alles zu organisieren.“
In der Türkei sieht der junge Mann keine Zukunft. Die letzten Monate hat er in einer Plastikfabrik gearbeitet. Ohne Arbeitserlaubnis, doch drücken die Behörden meist ein Auge zu. Achteinhalb Stunden pro Tag, sechs Tage die Woche hat er gearbeitet. Für umgerechnet knapp 300 Euro im Monat. Mehr als die Hälfte davon gibt er für seine Unterkunft aus. Jetzt will er nur mehr eines: weg. Und er ist nur einer von vielen.

Syrische Flüchtlinge werden in der Türkei geduldet, aber man gibt ihnen keine Zukunft meint auch Herr Tarek. Ein syrischer Journalist aus Damaskus, geflohen vor den Schergen des Assad-Regimes. Er arbeitet bei einer kleinen syrischen Radiostation in Istanbul.

„Hier in der Türkei Unterstützung zu finden ist schwieriger als in Europa glaube ich. Die Gesellschaft ist geschlossen. Sie sagen, wir helfen Euch zu überleben, aber nicht um ein Leben hier aufzubauen (edit..) Wir sind hier zwar sicher, werden aber nie türkische Staatsbürger. Wenn Du in Europa hingegen als Flüchtling anerkannt wirst, dann helfen Sie Dir dort auch Europäer zu werden.“

Viele Syrer haben in der Türkei Jobs gefunden. Viele ohne offizielle Arbeitserlaubnis obwohl sie die zumindest laut Gesetz beantragen können. Sie haben laut Parlamentsbeschluss auch freien Zugang zum Gesundheits- und staatlichen Schulsystem. Doch klagen viele, dass man ihnen den verwehrt. Zwar hat die Türkei nach eigenen Angaben mehr als 5 Milliarden Euro mittlerweile für die Flüchtlinge ausgegeben und in rasch errichteten Zeltlagern auch vielen in akuter Notsituation das Leben gerettet.

Doch behandelt man die Flüchtlinge in erster Linie als Gäste, die später das Land wieder verlassen sollen. Integrationsziele fehlen, die Einbürgerung ist nicht vorgesehen. „Ich würde hier für den Rest meines Lebens Hilfsarbeiter bleiben und nie Geld haben“ klagt der junge Ingenieur Ahmet. Deshalb will er der Türkei den Rücken kehren und nach Europa. Wie viele ihm noch folgen werden, niemand weiß es.