Der nationalistische Umbau von Skopje
Barock aus Gipskarton
Wenn man auf der Steinbrücke steht, die den schmalen Vardar-Fluss im Stadtzentrum der mazedonischen Hauptstadt überspannt, dann kann man auf Dutzende von Statuen und Denkmälern schauen: grimmige Reiter, segnende Heilige, martialische Soldaten mit Fahne und Säbel, Maler mit Pinsel, Politiker im Gehrock.
8. April 2017, 21:58

ORF/PETER LACHNIT
Eine sitzende Figur sieht aus wie Neptun mit dem Dreizack, stellt aber Zar Samuil dar, am Flussufer thront Kaiser Justinian. Höhepunkt des Denkmalparks ist die 22 Meter hohe Statue Alexander des Großen, umgeben von acht Kriegern und einem Springbrunnen. Vom gegenüber liegenden Ufer grüßt ihn sein Vater Philipp mit erhobener Faust.
All diese teilweise grotesken, teilweise lächerlichen Statuen stammen nicht aus dem 19. Jahrhundert, als quer durch Europa die nationalen Heroen, Dichter und Denker zu Denkmälern gegossen wurden. Die Figuren rund um den zentralen Ploštat Makedonia, dem Mazedonien-Platz, sind erst in den letzten Jahren aufgestellt worden – aber eben im romantisierend-heroischen Stil des vorvorigen Jahrhunderts. Und im gleichen Stil präsentieren sich auch die Gebäude rings herum: Archäologisches Museum, Nationaltheater, Verfassungsgericht, Außenministerium, ein Triumphbogen. Auch diese historisierenden Bauten sind neu – sie sind Teil eines gigantischen Projekts zum Stadtumbau unter dem Titel „Skopje 2014“, das aber auch 2015 noch nicht abgeschlossen ist.
Mazedonien ist seit 1991, seit dem Zerfall Jugoslawien, ein unabhängiger Staat – doch darf sich nicht so nennen. Gegen die Bezeichnung „Mazedonien“ oder „Makedonien“ hat der Nachbar Griechenland ein Veto eingelegt – denn Makedonien heißt auch die Gegend rund um Thessaloniki, und die griechischen Regierungen, ob rechts oder links, beharren darauf, dass sich nur Griechen als Makedonier bezeichnen dürfen. Am internationalen Parkett darf Mazedonien daher nur unter dem reichlich unschönen Namen „FYROM“ auftreten, als Abkürzung für „Former Yugoslav Republic of Macedonia“.
Als Reaktion darauf, dass dem Land seit nunmehr fast einem Vierteljahrhundert der Staatsname verwehrt wird, hat die konservativ-nationalistische Regierung unter Ministerpräsident Gruevski zurückgeschlagen: Sie sieht den Staat Makedonien in der Nachfolge der Reiche Alexander des Großen und dessen Vaters Philipp. Um das zu unterstreichen, wurde der Flughafen von Skopje zum „Alexander der Große-Flughafen“, die Autobahn von Serbien nach Griechenland zur „Alexander der Große-Autobahn“. Nur die Alexander-Riesenstatue am Mazedonien-Platz von Skopje, die heißt offiziell „Der Reiter am Pferd“ – völlig will man die Griechen ja auch nicht vergrätzen.
Mit dem Umbau des Stadtzentrums von Skopje werden aber auch noch zwei andere Ziele verfolgt: zum einen wird durch die Denkmäler ein Blick auf die Vergangenheit verfestigt, der nur die slawischen Mazedonier im Auge hat – und nicht auch die (große) Minderheit der Albaner und die (kleineren) der Türken und Roma. Und zum zweiten sollen die nationalromantischen Bauten die Erinnerung an das frühere Jugoslawien auslöschen. Denn Skopje, das 1963 durch ein Erdbeben zerstört worden war, wurde als Stadt der Moderne wiederaufgebaut – mit viel Beton und Grün dazwischen. „Brutalistisch“ sagen manche dazu.
Diese Bauten der 1960er und 70er Jahre mit ihren klaren Linien und Glasfassaden werden jetzt umgebaut. Sie bekommen Simse und falsche Balkone angeklebt, die Fenster bekommen Augenbrauen, und auch die mazedonische Zentrale der EVN wird gerade so „barockisiert“. Als „architektonisches Disneyland“ ist das ganze Bauvorhaben bezeichnet worden. Denn wenn man die Fassaden der Prunkbauten genauer anschaut und etwa den vermeintlichen Marmor abklopft, dann klingt es hohl – es handelt sich um Gipskarton.