Greenpeace-Doku "How to Change the World"
Mit rund drei Millionen Mitgliedern und mehr als vierzig über den ganzen Globus verstreuten Niederlassungen gehört Greenpeace zu den größten Umweltorganisationen weltweit. Die Kinodokumentation "How to Change the World" erzählt, wie Greenpeace vor knapp 45 Jahren von einer Handvoll Idealisten gegründet wurde.
8. April 2017, 21:58
Bislang unveröffentlichtes Archivmaterial zeigt die wagemutigen Aktionen, aber auch die Probleme als es darum ging, aus einem Haufen Individualisten eine schlagkräftige Organisation aufzubauen. Ein Ausflug in die wilden, euphorischen 1970er Jahre.
Kulturjournal, 15.10.2015
Fischkutter als "Bewusstseins-Bombe"
1971 nahm ein alter Fischkutter vom kanadischen Vancouver aus Kurs auf Alaska. Ziel war die Insel Amchitka, wo die US-Behörden unterirdische Atomtests durchführten, und die Handvoll Idealisten an Bord wollte mit ihrer Fahrt in die Gefahrenzone die nächste Sprengung verhindern. Der Kutter wurde zwar von der Küstenwache aufgehalten, die Bilder von der Aktion verbreiteten sich aber als mediales Lauffeuer. Und keiner verstand diese Mechanismen besser als der charismatische Journalist Bob Hunter, der zur Leitfigur von Greenpeace wurde. Ihren kleinen Kutter bezeichnete er als Bewusstseins-Bombe, die via TV direkt in die Wohnzimmer der Menschen segelte.
Leitfigur Bob Hunter
Der zunehmende Raubbau an der Natur machte es notwendig, eine schlagkräftige Umweltbewegung aufzubauen, ähnlich den Menschen- und Bürgerrechtsbewegungen der damaligen Zeit. Da die Gruppe ein bunt zusammengewürfelter Haufen war, bedeutete das kein einfaches Unterfangen. Ohne einen Mann wie Bob Hunter, so Regisseur Jerry Rothwell, hätte Greenpeace wahrscheinlich auch keine Zukunft gehabt:
"Hunter war eine unglaublich charismatische Leitfigur. Nur so war es zu schaffen, diese völlig unterschiedlichen Charaktere zusammenzuhalten. Er hat gemerkt, dass sich die Gruppe aus, wie er sagte, ‚Mystikern und Mechanikern‘ zusammensetzte und er verstand, dass es beide Gruppen brauchte. Es ging nicht ohne die Praktiker, die Schiffe reparieren und Schlauchboote aufpumpen konnten, genauso wenig kam die Organisation aber ohne ihre Idealisten aus, die an Mutter Erde und chinesische Weisheitslehren glaubten und der Bewegung eine mystische Seite verliehen."
Kampf gegen russische Walfänger
Als magische Zeit erinnert eine Aktivistin der ersten Stunde die Anfangsjahre von Greenpeace. Zum neuen Ziel hatte die junge Organisation die Einschränkung des Walfangs erklärt. Bob Hunter in einer Archivaufnahme: "Vor der kalifornischen Küste machte sich Greenpeace auf die Suche nach der russischen Walfangflotte. Ohne moderne Ortungsmethoden ein langwieriges Unterfangen, das erst nach vielen Tagen von Erfolg gekrönt war." Mit schnellen Schlauchbooten versuchte sich die Gruppe zwischen die Fangschiffe und die Wale zu bringen und die russischen Harpuniere vom nächsten Schuss abzuhalten. "Gandhis Schriften über den gewaltfreien Widerstand haben uns damals nur wenig weitergeholfen", erinnert sich einer der Aktivisten an die damals lebensgefährliche Situation.
"Greenpeace öffnete uns die Archive"
Die Bilder der knapp über die Köpfe der Aktivisten hinwegrauschende Harpune und die Aufnahmen der sterbenden Wale im blutroten Meer verfehlten damals ihre Wirkung nicht und sorgen auch heute noch für ein empathisches Mitfühlen mit den Greenpeace-Kämpfern und ihren Idealen. Nicht weniger als 1.500 Filme mit teils unveröffentlichtem Originalmaterial hat Regisseur Jerry Rothwell im Greenpeace-Archiv in Amsterdam gefunden und für seinen Film ausgewertet.
"Greenpeace öffnete uns die Archive und verzichtete gleichzeitig auf jegliche Kontrolle über den Film. Und ausgehend von diesem Archivmaterial stieß ich auf die Schriften von Greenpeace-Gründer Bob Hunter, in denen er sehr selbstkritisch und voller Witz ist. Statt sich selbst zu feiern, spricht er ganz offen über seine Zweifel. Daneben stellt er Regeln auf, Punkte wie 'Bewusstseinsbomben zünden', den 'Worten Taten folgen lassen' oder 'den Erfolg fürchten'. Und anhand dieser Aphorismen habe ich versucht das Material zu strukturieren."
Spielball der US-amerikanischen Außenpolitik
Der schnelle Erfolg und die große Breitenwirkung von Greenpeace erwiesen sich tatsächlich nicht nur als Segen für die junge Organisation. Die zunehmende Verantwortung und interne Machtkämpfe sorgten dafür, dass Bob Hunter Greenpeace in späteren Jahren sogar den Rücken kehrte. Dazu kam eine verstärkte Einflussnahme von außen. Mit ihren Aktionen gegen die russischen Walfänger war Greenpeace nämlich zum Spielball der US-amerikanischen Außenpolitik geworden.
Jerry Rothwells Greenpeace-Dokumentation macht die Euphorie und den Idealismus der Anfangsjahre spürbar ohne blauäugig daherzukommen, denn die internen Reibereien und die Machtkämpfe in der männlich dominierten Organisation werden ohne Beschönigung thematisiert. "How to Change the World" passt aber auch erstaunlich gut in unsere Gegenwart der neu erwachenden Zivilcourage und Eigeninitiative und bietet sich jenseits aller Nostalgie für einen interessanten Vergleich an. Zwischen dem einstigen Flower-Power-Engagement auf der einen Seite und den neuen digital organisierten Initiativen von heute.