Lucinda Childs: Spitzentanz in St. Pölten
Liebhaber von zeitgenössischem Tanz werden heute Abend wohl nach St. Pölten pilgern, wo im Festspielhaus eine außergewöhnliche Produktion zu sehen ist: "Available Light" ist eine Kooperation zwischen drei Großen ihres Fachs: der Choreografin und Tänzerin Lucinda Childs mit dem Komponisten John Adams und dem Architekten - in diesem Fall Bühnenbildner - Frank Gehry.
8. April 2017, 21:58

CRAIG T. MATHEW
Mittagsjournal, 13.11.2015
"Available Light" wurde 1983 uraufgeführt und hat Tanzgeschichte geschrieben. Jetzt, 32 Jahre später, haben neben dem Festspielhaus St. Pölten renommierte Institutionen wie das Pariser Théâtre de la Ville, das Kampnagel Festival Hamburg oder das Berliner Tanz Im August diese Rekonstruktion in Auftrag gegeben. Entwickelt wurde sie im MASS MoCA, dem Massachusetts Museum for Contemporary Art.
"Es verblüfft mich, nach all diesen Jahren das Stück wieder aufzunehmen", sagt die Tänzerin und Choreografin Lucinda Childs: "Es geht ja nur dreidimensional - mit den Körpern, der Musik, dem Licht und diesem wunderbaren Set, das Frank Gehry redesignt hat. Ich bin sehr berührt, das tun zu können."
Das Spiel mit dem Licht
Das Auftragswerk des Museum of Modern Arts in Los Angeles (1983) wurde ein Meilenstein der Tanzgeschichte. Die Uraufführung fand in einem großen Gebäude statt, das ursprünglich als Werkstatt für Polizeiautos diente, wie Lucinda Childs in einem Interview dem französischen Fernsehen sagte. Für diesen riesigen Raum schuf Architekt Frank Gehry, berühmt u. a. für sein Museum von Bilbao oder jüngst die Vuitton Stiftung in Neuilly bei Paris, eine Bühne auf zwei Ebenen.
"Da es eine Glasfront gab, wurde das Licht besonders behandelt: Es gab Licht von außen, das in den Raum schien; man strich ein spezielles, meist rot gefärbtes Gel auf die Glaswand, das so innen einen speziellen Effekt ergab - daher dann auch der Name der Produktion 'Available Light'", erinnert sich die Choreografin.
Klang mit Textur versehen
Lucinda Childs hatte schon immer mit dem Komponisten John Adams zusammengearbeitet. Der hatte in diesem Fall für sie sein, wie er sagt, längstes Stück geschrieben - das etwa 50-minütige "Light Over Water". John Adams war damals ein großer Fan des Synthesizers. Für ihn schafft dieses Instrument den technisch reinsten Ton. Allerdings läuft man da Gefahr, so Adams, dass das Ganze auf die Dauer langweilig wird. Darum wollte er dem Klang eine Textur geben, und das tat er in diesem Fall mit Blasinstrumenten - die sind klar, aber eben auch schmutzig, wie John Adams in einem Interview gemeint hat.
Mathematisches Tanzvokabular
Fünf Jahre lang arbeitete Lucinda Childs mit ihren Tänzern. Die Komposition von John Adams erlaubte der Choreografin, ihrem mathematisch-minimalistischen Tanzvokabular eine eigene, asymmetrische Struktur zu geben: "Ich kam so zu einem Endpunkt und arbeitete mich wieder zum Beginn vor - Elemente des Anfangs erschienen so wieder, als ob sie zu einem neuen Ende führen sollten. Ich war von dieser Struktur sehr begeistert", sagte Lucinda Childs anlässlich der Uraufführung vor 32 Jahren.
Im Festspielhaus St Pölten wird "Available Light", das im Juni in Los Angeles seine Premiere hatte, nur heute Abend zu sehen sein. Es ist nach den Gastspielen von Sasha Waltz und dem Tanztheater Wuppertal bereits das dritte hochkarätige Tanzspektakel dieser Saison.
Service
Festspielhaus St. Pölten – Available Light
Los Angeles Times - After 32 years, 'Available Light' brighter than ever