John-Cassavetes-Retrospektive im Filmmuseum
Als Leinwandstar verkörperte er coole Detektive und dämonische Bösewichte und verwendete seine Gagen um seine kompromisslosen Filmprojekte von "Shadows" bis "Love Streams" zu finanzieren. Eine große Schau im Österreichischen Filmmuseum zeigt jetzt die ganze Bandbreite von John Cassavetes' Filmschaffen.
8. April 2017, 21:58

"Shadows", 1959
ÖSTERREICHISCHES FILMMUSEUM
Cassavetes hat das amerikanische Independent-Kino nicht nur mitbegründet, sondern auch über Jahrzehnte hinweg entscheidend geprägt. Doch so sehr er heute als zentrale Gestalt der Filmgeschichte gilt, blieb er zu Lebzeiten der radikale Außenseiter. In Filmen wie "Faces" oder "Eine Frau unter Einfluss" lotete er ohne auch nur im Geringsten auf den Publikumsgeschmack zu schielen, die Abgründe der menschlichen Existenz aus. Das Geld für sein Filmschaffen verdiente er als vielseitiger Schauspieler, denn sein Spektrum reichte vom verführerischen Frauenschwarm bis zum dämonischen Bösewicht.
Kulturjournal, 2.12.2015
Wir schreiben das Jahr 1959: Jack Kerouac hat gerade mit "On the Road" die amerikanische Literatur revolutioniert und der junge Schauspieler John Cassavetes will das gleiche für den Film tun. Spontan und unmittelbar wie eine Jazz-Improvisation soll sein Regie-Debüt "Shadows" werden, das er mit Gleichgesinnten auf den Straßen New Yorks mit einem Minibudget realisieren will. Das Geld dafür verdiente Cassavetes als Schauspieler. So war er damals unter anderem in der TV-Serie "Johnny Staccato" zu sehen, in der er einen Bar-Pianisten gab, der sich nebenbei als Privatdetektiv verdingt. Ein Frauenschwarm, so cool wie der Jazz, den er spielte.
"Liebe analysieren, diskutieren und zerstören"
Hollywood fing sich den talentierten Cassavetes, doch nach nur zwei Filmen kehrte der dem restriktiven Studiosystem den Rücken. Es entstanden Filme wie "Faces" oder "Eine Frau unter Einfluss", beides Ehedramen, in denen die Paare an den Rand des Wahnsinns und darüber hinaus getrieben werden. John Cassavetes in einer Archivaufnahme: "Für jeden Menschen ist es ganz zentral herausfinden, wie und wo er lieben und sich verlieben kann, um gut leben zu können. Deshalb müssen meine Figuren Liebe analysieren, diskutieren und zerstören. Alles andere interessiert mich nicht wirklich. Mein ausschließliches Thema ist einfach die Liebe."
Um seinen radikalen Ansatz realisieren zu können, scharte Cassavetes eine Gruppe Gleichgesinnter um sich: Mit seiner Lieblingsschauspielerin Gena Rowlands war er bereits seit 1954 verheiratet, und mit Peter Falk und Ben Gazzara hatte er treue Freunde neben sich, die mit ihm in mehreren Filmen durch dick und dünn gingen.
Ist von Cassavetes besonderer Art der Schauspielführung die Rede, fällt recht schnell das Schlagwort "Improvisation", dabei stand die bei weitem nicht immer im Vordergrund, wie Cassavetes einmal selbst meinte: "Mein erster Film 'Shadows' war rein improvisiert, 'Faces' hingegen gar nicht und 'Husbands' zu fünfzig Prozent. Beim Improvisieren geht es einfach darum, schnell zu reagieren. Mit welchen Worten eine Figur ihren Kaffee bestellt, das ist eine Entscheidung, die ich dem Schauspieler im Moment überlasse."
Die emotionale Tiefenschürfung fand zwar zu einem großen Teil am Set und in enger Zusammenarbeit mit den Schauspielern statt, die Voraussetzungen dafür waren aber bereits im Drehbuch angelegt. John Cassavetes: "Meine Ansicht zum Drehbuchschreiben ist recht sonderbar und sie verändert sich auch andauernd. Gerade bin ich überzeugt davon, dass der Dialog so eng mit dem jeweiligen Ereignis verknüpft sein soll, dass man ihn gar nicht richtig bemerkt. Man soll nicht hören, dass Menschen sprechen, sondern ihre Emotionen spüren."
John Cassavetes verstarb 1989 noch keine sechzig Jahre alt an den Folgen einer Leberzirrhose. Sein kurzes, aber intensives Leben reichte aber aus, um Filmemacher wie Jim Jarmusch, Steven Soderbergh oder die Coen-Brüder maßgeblich zu beeinflussen. Fast noch größer war sein Einfluss jedoch in Europa. Um den ganzen Cassavetes erleben zu können, zeigt das Filmmuseum nicht nur sämtliche Regiearbeiten des Filmemachers, sondern auch die ganze Bandbreite seiner Schauspielkarriere - vom smarten Jazz-Detektiv "Johnny Staccato" bis zum diabolischen Ehemann in "Rosemary's Baby".
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Filmmuseum - John Cassavetes