Venezuela versinkt in Armut
In Venezuela deuten die Umfragen vor den Parlamentswahlen am Sonntag einen Machtwechsel an: nach 16 Jahren dürfte die sozialistische Ära zu Ende gehen. Gescheitert ist Nicolas Maduro, der Nachfolger des an Krebs vor zwei Jahren gestorbenen Hugo Chavez gerade an seinem wichtigsten Wahlkampfthema: der Kampf gegen die Armut.
8. April 2017, 21:58
Morgenjournal, 4.12.2015
Dramatische Versorgungskrise in Venezuela,
Zwei Säcke Reis und zwei Packungen Eier – das ist die heutige Ausbeute von Joana Hernandez. Stundenlang ist die junge Mutter dafür vor dem Supermarkt in der Schlange gestanden – um 4 Uhr Früh war sie da, erzählt sie. Jetzt ist es zehn Uhr Vormittags und vor dem kleinen Supermarkt in Caracas stehen mehr als 500 Menschen in der Schlange. Es hat sich herumgesprochen, dass es hier heute Eier und Reis zu kaufen gibt – das sei mittlerweile etwas Besonderes, sagt der 55jährigen Jorge: Ich brauche auch Reis, aber um ehrlich zu sein, nehme ich alles, was ich kriegen kann. Egal was.
Er habe sich heute extra dafür bei der Arbeit krankgemeldet, sagt Jorge. Denn wenn es heute nichts bekommt, müsste er eine ganze weitere Woche darauf warten einkaufen zu gehen. Denn die Waren sind so knapp, dass die Supermärkte haben die Regel eingeführt haben, dass Venezolaner nur mehr an zwei Tagen in der Woche einkaufen darf – das System ist ausgeklügelt: Meine Personalausweisnummer endet auf die 8. Deshalb darf ich nur donnerstags und freitags einkaufen gehen, erzählt Mariabel – an anderen Tagen bekomme ich nichts.
Im Supermarkt zu bezahlen, erinnert an die Einreise in ein fremdes Land: Misstrauisch werden die Ausweise kontrolliert und mit Fingerabdrücken abgeglichen. Nazaret ist mit ihrer Tochter gekommen. Um Windeln zu kaufen, musste sie sogar die Geburtsurkunde ihres Kindes vorweisen: Das ist erniedrigend, das ist demütigend, schimpft sie. Ich habe es satt, dass ich stundenlang hier stehen muss, mein Kind schreit, ich bin am Ende.
Mangel – der gehört in Venezuela inzwischen zum Alltag.
Es ist schwer geworden, Grundnahrungsmittel wie Mehl, Eier oder Milch zu finden. Oder Klopapier und Seife. Oder Medikamente. Denn Venezuela hat zwar Erdöl, den Großteil seiner Alltagsgüter muss es aber importieren. Doch die Staatskassen sind leer - die fallenden Ölpreise, die hohe Inflation und die Misswirtschaft der Regierung haben dem Land schwer zugesetzt.
Es ist ein Schlamassel, sagt der venezolanische Ökonom Francisco Ibarra Bravo. Die Wirtschaft ist am Boden, die Inflation ist horrend, wir haben keine Jobs, wir haben vier verschiedene Währungen. Alles, was schief gehen kann, geht hier gerade schief.
Laut IWF wird Venezuelas Wirtschaft dieses Jahr sogar um bis 10 % schrumpfen. Und am härtesten trifft es die, die der sozialistische Regierung bisher den Rücken gestärkt haben: die Armen. Die nicht das Geld dafür haben, sich auf dem boomenden Schwarzmarkt zu versorgen und die langen Schlangen vor den Supermärkten zu umgehen. Und selbst einst gestandene Chavistas wenden sich inzwischen von der Regierung ab: Wir wollen endlich wieder frei sein, sagt die 70jährige Estelle Früher habe sie Hugo Chavez verehrt – aber das bereue sie mittlerweile. Nichts funktioniert hier mehr. Wir sind müde und wütend.
Es ist 11 Uhr Vormittags. Und in der langen Warteschlange vor dem Supermarkt hat sich gerade herumgesprochen, dass es keine Eier mehr gibt. Der 62jährigen Luz stehen die Tränen in den Augen: Ich bin so deprimiert, sagt sie. Wir waren heute schon bei sieben Supermärkten und überall waren wir zu spät. Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll. Aber fürs Erste bleibt ihr nichts anderes übrig, als nach Hause zu gehen. Und nächste Woche wiederzukommen.