Roman von György Dragomán

Der Scheiterhaufen

Die dreizehnjährige Emma hockt im Vorzimmer der Direktion eines Waisenhauses, die Eltern sind bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Sie wurde zur Direktorin gerufen, weil eine alte Frau aufgetaucht ist, die behauptet, ihre Großmutter zu sein; dabei hat Emma bislang geglaubt, auch ihre Mutter wäre ein Waisenkind gewesen.

György Dragomán

György Dragomán

ANNA T. SZABO

So beginnt der im Jahr 1991 spielende Roman "Der Scheiterhaufen" von György Dragomán, und aus dem Sog, den er damit entfaltet, gibt es fortan kein Entkommen mehr.

"Einer der beeindruckendsten Romane nicht nur dieses Jahres"

Auf die politische Wirklichkeit seines Herkunftslands Rumänien und des Landes, in dem er lebt, nämlich Ungarn, nimmt György Dragomán Bezug. 2008 erschien auf Deutsch "Der weiße König", ein Roman über den Reaktorunfall von Tschernobyl, gespiegelt in der Endphase der rumänischen Diktatur. Dragomans neuer Roman spielt ebenfalls in Rumänien, allerdings in der Zeit nach dem Sturz Ceausescus.

Emma zieht zu ihrer Großmutter in eine andere Stadt und gerät in eine schwierige Situation: Der Großvater ist tot, und während die Großmutter liebevoll sein Andenken pflegt und manche, die ihn als ihren ehemaligen Französisch-Lehrer verehren, felsenfest überzeugt sind, er sei von der Securitate ermordet worden, munkeln andere, er habe sich das Leben genommen, um nicht erleben zu müssen, wie er als Geheimdienst-Spitzel enttarnt wird.

Wie in Zeitlupe und unter einem Vergrößerungsglas werden die Folgen der Diktatur und der Kampf um die Deutehoheit der noch ganz nahen Vergangenheit vorgeführt. Dabei zeigt sich, wie naiv und eindimensional der gängige mediale Fokus auf den Systemwechsel ist. Denn die kommunistische Diktatur ist eingesickert in die intimsten Bereiche, in die Beziehungen zwischen den Generationen oder in die Lehrer-Schüler-Verhältnisse. Dragománs Roman leuchtet dieses Gehäuse aus der Nähe und in realistischer Detailgenauigkeit aus. Das zentrale Geheimnis dieses Romans ist jedoch, wie es dem Autor gelingt, dass man sich bei der Lektüre so intensiv und fast körperlich mit dem Mädchen Emma identifiziert, auch wenn man selbst zum Beispiel ein älterer Mann ist.

Service

György Dragomán: "Der Scheiterhaufen", Roman, aus dem Ungarischen von Lacy Kornitzer, Suhrkamp Verlag
Originaltitel: Máglya", Magvető Kiadó, Budapest 2014