Im Gespräch: Choreograf Jerome Bel

Diese Woche gastiert der französische Choreograf Jerome Bel mit seiner neuen Produktion "Gala" auf Einladung des Tanzquartiers Wien im Museums Quartier. Bel, der sich immer wieder mit Fragen der Performance, des Tänzers per se auseinandersetzt, lässt in "Gala" Amateure und professionelle Tänzer miteinander auftreten.

Christian Fillitz:
Warum haben Sie für diese Produktion Amateure und Profis gemischt?

Jérôme Bel:
Es ging mir darum, diesen Beruf zu hinterfragen. Viele Menschen tanzen ja, aber man sieht nur die professionellen Tänzer. Die Idee ist mir bei einem Workshop gekommen: da habe ich mir gedacht, dass diese Menschen es Wert seien, von einem Publikum gesehen zu werden. Da geht es um Themen wie Zerbrechlichkeit und Perfektion. Darum wollte ich auch professionelle Tänzer, aber es gibt auch Kinder, und Menschen mit Behinderungen: ich wollte eine größtmögliche Vielfalt von Körpern. Und so gibt es auch unterschiedliche Zugänge zum Tanz- wobei ich nicht darauf schaue, ob jemand gut oder schlecht tanzt, oder wie gut er Bewegungen ausführt: es geht darum , was der Tanz ausdrückt, was der Körper ausdrückt, und was der Tanz im weitesten Sinn über einen Menschen aussagt.

Christian Fillitz:
Hat es bei der Arbeit von Seiten der Amateure nicht auch Inhibitionen gegeben, wenn neben ihnen Leute Bewegungen sehr gut ausführen?

Jérôme Bel:
Das gehört zum Prozess. Sie müssen verstehen, dass sie nichts zu verlieren haben, dass sie nie wieder so ein Spektakel aufführen werden. Sie werden beruhigt, es wird ihnen erklärt, warum sie da sind, und dass wenn es schief geht, es sehr schön ist, dass wenige Leute das können: nämlich ihre Unfähigkeit zu zeigen, und dass sie dem Publikum etwas sehr Großzügiges geben, nämlich das Scheitern. Das ist ja nichts Blamables: wir scheitern ja alle, aber wir sagen es nicht.


Christian Fillitz:
Da gibt es einerseits die Freude am Tanzen und andrerseits die Konfrontation mit dem Publikum: es ist ja etwas anderes, für sich zu tanzen und sich öffentlich zu zeigen!

Jérôme Bel:
Ja, das ist der Unterschied zwischen dem Amateur und dem Profi. Aber der Amateur darf einmal im Jahr, bei einer Gala auftreten- darum habe ich dieses Format ausgewählt. Man tritt auf wie ein Profi, obwohl man keiner ist, man verkleidet und schminkt sich. Und da gibt es sehr unterschiedliche Charaktere: einige fühlen sich gar nicht wohl- das interessiert mich insofern, als es etwas über ihr Verhältnis zur Umwelt, über ihren Platz in der Gesellschaft aussagt-wohingegen die Profis sagen:“ ich will auftreten, ich bin stark!“ Und so gibt es einige, die schüchtern im Hintergrund bleiben, die interessieren mich, die hole ich nach vorne, denn ich mag diese Schüchternheit- Bei den Profis gibt es keine Schüchternheit!

Christian Fillitz:
Allerdings, wenn die beim Casting mitmachen- und in jeder Stadt, wo sie GALA gezeigt wird, nehmen sie andere Performer, zeigen sie ja auch , dass sie auf die Bühne wollen?

Jérôme Bel:
Ja, das ist ja auch die Definition eines Amateurs: jemand, der etwas liebt. Für viele hat die Bühne etwas Magisches, und man muss die Sehnsucht haben, dort oben zu stehen. Diese Sehnsucht ist für mich der Kern dieser Produktion. Ob die Performer dann das, was ich von ihnen will, ausführen können, interessiert mich nicht. Mir geht es um diese Sehnsucht, um dieses Begehren.

Christian Fillitz:
Ganz Allgemein, was Ihre Arbeit betrifft: sie haben zuletzt in DISABLED THEATRE mit behinderten Schauspielern gearbeitet, jetzt diese Mischung aus Amateuren und professionellen Tänzern: Ist das jetzt der Abschluss ihrer Recherche in diese Richtung?

Jérôme Bel:
Ich weiss nicht, ob es ein Abschluss ist, denn ich weiss nicht was ich als Nächstes tun werde. Es gibt da sicher einen Zusammenhang mit dem Stück mit den geistig Behinderten. Ich habe bei Ihnen eine Energie gefunden, die ich in der zeitgenössischen Tanzszene nicht mehr finde, etwas, das sich ausserhalb des „Akademismus“ befindet, um es etwas böse zu formulieren. Eine Vitalität, die ich bei den Tänzern , die mich umgeben, vermisse. Und da habe ich mir gedacht: schauen wir einmal, ob es diese Vitalität noch woanders gibt. Darum diese Mischung in GALA. In Wien ist im Ensemble übrigens auch ein junger Mann mit Down Syndrom, der ist ganz fantastisch!

Christian Fillitz:
Abschließend eine etwas ikonoklastische Frage: was macht eigentlich den Unterschied zwischen einer Abschlussaufführung eines Workshops und diesem Stück aus?

Jérôme Bel:
Nun: Ich bekenne Farbe: ich mache ja Kunst, ich bin kein Professor- diese Abschlussgalas werden ja von Professoren gemacht. Ich inszeniere das Bewusstsein dieser Fragilität, dieser Zerbrechlichkeit, und die ist politisch und philosophisch. Es geht darum, zu sehen, wie diese Leute zusammen funktionieren, wofür sie stehen, für welche Gesellschaft sie stehen. Hinter der Frage, wie man zusammen tanzt, steht ja die Frage, wie man zusammen lebt, wie man Gleichheit produzieren kann zwischen Leuten, die sehr virtuos sind und Leuten, die noch nie auf einer Bühne gestanden sind, und die man auf die gleiche Stufe stellt.
Ich zeige dass sie denselben Wert haben, sie drücken nur einen unterschiedlichen Zugang zum Tanz aus---ich nenne das die Welt. Der Tanz ist da nur ein Werkzeug, um Dinge auszudrücken. Und weil sie so unterschiedlich sind, kann ich sie nicht dirigieren. Ich kann Leute dirigieren, die etwas gemeinsam haben. Hier haben sie nichts gemeinsam, und ich sehe zu, dass sie so wenig wie möglich gemeinsam haben. In GALA gibt es nicht einen Choreografen, es gibt 20 Choreografen!