Debattenband "Herzl reloaded"
Er war eine der einflussreichsten Gestalten des 20. Jahrhunderts: der Wiener Feuilleton-Journalist Theodor Herzl, der als Publizist und Politiker zum theoretischen Begründer des modernen israelischen Staates werden sollte. Mit dem Erbe Herzls befasst sich nun ein Debattenband, den der Wiener Schriftsteller Doron Rabinovici und der Tel Aviver Soziologe Natan Sznaider herausgegeben haben: "Herzl reloaded". Zentrale Frage: Was bleibt von Theodor Herzl?
8. April 2017, 21:58
Morgenjournal, 19.1.2016
Gleichberechtigung im neuen Staat
Er war schon ein faszinierender Mensch, dieser Theodor Herzl, ein brillanter Feuilletonist und mittelmäßiger Romancier, der unter dem Eindruck des Rassen-Antisemitismus der Belle Epoque den modernen Zionismus erfand. Herzl konzipierte einen jüdischen Staat, der nach modernen, säkularen Grundsätzen verfasst sein sollte: vollständige Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, vollständige Gleichberechtigung zwischen Juden, Arabern und Angehörigen anderer Ethnien. Dass die arabische Bevölkerung Widerstand gegen die jüdische Besiedlung Palästinas leisten könnte, hat der Stammvater des Zionismus naiverweise nicht vorhergesehen, auch, weil "Eretz Israel" zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch Teil des multi-ethnischen Osmanischen Reichs war.
Frage an Doron Rabinovici: Was würde Theodor Herzl sagen, wenn er heute an der Strandpromenade von Tel Aviv spazieren gehen würde? "Wenn er jetzt wirklich in Tel Aviv ankäme, er wäre begeistert. Es ist ja eine vibrierende, interessante, kulturell und intellektuell aufregende Stadt. Aber gleichzeitig würde er, glaube ich schon, sehen, dass das, was er sich erhofft hat - Sicherheit -, ist so lange nicht gewährleistet, solange kein Frieden da ist."
Die Gesellschaft rückt nach rechts
Das hat auch damit zu tun, dass die israelische Gesellschaft der 2010er Jahre immer weiter nach rechts rückt. Jüngster Beleg: die Verabschiedung des umstrittenen NGO-Gesetzes durch die Regierung Netanjahu, das besonders linke und militärkritische Organisationen im Visier hat. Mit Herzls Konzeptionen hat das heutige Israel - eine in vielerlei Hinsicht zerrissene Gesellschaft - nur mehr bedingt etwas zu tun, so Natan Sznaider:
"Es gibt ja keine israelische Gesellschaft. Es gibt, würde ich sagen, Gesellschaften in Israel. Das ist nicht Habsburg, das ist nicht mal West-, sondern vielmehr Osteuropa. Israel heute kann nicht mit den Standards von irgendwelchen westlichen, aufgeklärten, post-christlichen Gesellschaften gemessen werden."
Sznaider & Rabinovici diskutieren über Israel
"Herzl reloaded" ist ein Debattenbuch: In Form längerer oder kürzerer E-Mail-Essays treten Natan Sznaider und Doron Rabinovici in eine kontroversielle Diskussion über das heutige Israel ein, wobei Natan Sznaider den pessimistischen Part zu übernehmen scheint: Israel und der Nahe Osten könnten in eine unruhige, vielleicht auch kriegerische Zukunft gehen, fürchtet Sznaider. An eine Zweistaaten-Lösung und einen tragfähigen Friedensvertrag mit den Palästinensern glaubt Sznaider nicht mehr, ganz im Gegensatz zu Doron Rabinovici.
Präsentiert wird der Band heute Abend im Wien Museum.
Service
Doron Rabinovici, Natan Sznaider, "Herzl relo@ded - Kein Märchen", Jüdische Verlag bei Suhrkamp
Wien Museum - Buchpräsentation am 19.1., 18.30 Uhr