Asylsuchende berichten: "badluck"

Die öffentliche Debatte um Flüchtlinge wird vor allem von Ängsten dominiert, die Biografien der Betroffenen bleiben im Dunkeln. Das Theaterprojekt "badluck" holt sie aus der Anonymität und lässt Asylsuchende von den Lebensbedingungen in ihrer Heimat berichten. Premiere ist heute Abend im Theater Nestroyhof/Hamakom.

Theater Nestroyhof

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

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Hamakom - badluck
Salon 5 - badluck

Die Zeit - Die menschliche Grenze

Das Projekt entstammt einer Idee der Künstlerin Natascha Soufi und des Regisseurs Karl Baratta, realisiert hat das Projekt die Theatergruppe Salon5 in Kooperation mit dem Wiener Theater Nestroyhof/Hamakom.

Kulturjournal, 11.2.2016

Vom Leben im Ausnahmezustand

"I will die a normal death" - Ich werde einen normalen Tod sterben: So lautet die lange angekündigte Überraschung, die der Bagdader Schauspieler Haidar Munsed seinem Publikum in Wien überbringt. Er wird nicht durch einen Bombenanschlag, nicht an den Folgen von Entführung und Folter und auch nicht durch die Hand eines Scharfschützen sterben: Denn Haidar ist jetzt in Sicherheit. Er zeigt ein Video von den letzten Tagen, die er in Bagdad zugebracht hat; Tareq, ein anderer Mitwirkender des Abends, kommentiert es auf Englisch: Zu sehen ist das Haus von Haidars Familie, das bis auf die Grundmauern niedergebrannt ist.

2014 in Bagdad uraufgeführt

"Ich habe in einem armen Viertel gelebt, das von Milizionären und religiösen Fanatikern kontrolliert wird. Theaterschauspieler wie ich gelten dort als Atheisten", erklärt Haidar. Seinen Beruf als Schauspieler habe er in Bagdad bis zum Schluss ausgeübt, in über 30 Stücken habe er mitgewirkt, sagt er. Eines der wichtigsten trug den Namen "Unglück" ("badluck") und lieferte letztlich die Vorlage für das gleichnamige Theaterprojekt in Wien. 2014 wurde die Performance im Irakischen Nationaltheater in Bagdad uraufgeführt: Acht Darsteller antworteten darin auf zentrale Fragen wie "Was machst du, wenn das Handy deiner Freundin schweigt?", oder "Wie möchtest du sterben?" und erzählten von ihrem eigenen Leben im Ausnahmezustand.

Terror, Gewalt und Korruption

Auf niederschwellige Art wollten Haidar und seine Kollegen dem Publikum die Zumutungen vor Augen führen, denen es täglich ausgesetzt ist: Terror, Gewalt und die allgegenwärtige Korruption sollten nicht mehr einfach hingenommen werden. "Letzten August haben wir begonnen, Proteste gegen die Korruption zu organisieren. Jeden Tag haben wir von drei Uhr nachmittags bis acht Uhr abends Demonstrationen angeführt", erzählt Haidar. "Als ich drei Wochen später eines Abends nachhause gekommen bin, sind drei Männer aus einem Auto gesprungen, haben mich zusammengeschlagen und gedroht: Wenn sie mich noch einmal in einem Demonstrationszug sehen würden, müsste ich sterben. Ich habe sofort meinen Wohnort gewechselt und nur fünf Tage später das Land verlassen."

Mit einem Schauspielkollegen und Filmemacher flüchtete Haidar nach Wien. Hier trafen die beiden zufällig auf die Künstlerin Natascha Soufi und den Regisseur Karl Baratta, die an einem ganz ähnlichen Theaterprojekt arbeiteten. Man wollte Flüchtlingen einen Bühnenraum zu Verfügung stellen, in dem sie frei ihre Geschichte erzählen könnten. Die Produktion aus Bagdad wurde in diese Idee integriert.

Eine Musikerin in Damaskus

Vom Musikleben in Damaskus seit dem Beginn des Bürgerkriegs und von der allgegenwärtigen Gefahr während der Proben und Auftritte berichtet die syrische Sängerin Nour Houri. Sie erzählt von einem Auftritt vor drei Jahren, den sie aus Angst vor den Bomben, die in unmittelbarer Nähe einschlugen, kurzfristig absagen wollte. "Aber meine Freunde und meine Familie ermutigten mich, auf der Bühne zu bleiben und zu singen. Also habe ich begonnen und alles rings um mich vergessen - sogar den Krach der Bomben. Und obwohl nur wenige gekommen waren, war es einer der schönsten Auftritte meines Lebens."

Den blutigen Konflikt beenden

"Badluck" holt die mitwirkenden Flüchtlinge aus der Anonymität und macht sie zu Akteuren - ja Helden der Tragödie, die sich derzeit im Nahen Osten abspielt. Wael Ibraheem etwa: Der syrische Geschäftsmann erzählt, wie er nahe Damaskus in einen Checkpoint der Regierungstruppen geriet und kontrolliert wurde. Die Soldaten demütigten bewusst nicht nur ihn, sondern auch seine herzkranke Mutter. "Wenn ihr etwas zugestoßen wäre", sagt Ibraheem, "dann hätte er rot gesehen und wäre selbst zum Terroristen geworden." Seine geliebte Frau werde er hier in Wien bald wiedersehen, ist Wael Ibraheem überzeugt. Europa habe in seiner Syrien-Politik versagt; nun trete er auf, um die Menschen wachzurütteln: Sie sollten ihre Politiker endlich dazu zwingen, den blutigen Konflikt in Syrien zu beenden.

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