Bibelessay zu Jesaja 43, 16 – 21
Das Erste Testament der christlichen Bibel wird meist Altes Testament genannt, als ob es angesichts des Neuen Testamentes überholt oder veraltet wäre. Dabei ist es bleibend ein Buch voll Hoffnung und Zuversicht und ganz besonders dieser prophetische Text.
8. April 2017, 21:58
Entstanden ist dieser Text in einer Situation, die ein völliges Desaster war. Jerusalem und der Tempel waren zerstört, die Heimat war verloren, die Elite des Volkes war deportiert. Es war die Zeit, während der das Volk Israel im Exil in Babylon war.
Ausgerechnet in dieser Zeit ohne Perspektive erinnert der namentlich nicht bekannte Prophet an die Befreiung aus der Unterdrückung in Ägypten und die Rettung am Schilfmeer: „So spricht der Herr, der einen Weg durchs Meer bahnt“, sagt der Prophet. „Das mächtige Heer liegt am Boden und steht nicht mehr auf.“
Und er fordert dazu auf: „Denkt nicht mehr an das, was früher war; auf das, was vergangen ist, sollt ihr nicht achten.“ Wer in bedrückenden Situationen war, weiß sehr gut, wie sich da der Blick verengt und zukunftsweisende Perspektiven verloren gehen. Was bleibt ist dann allzu oft ein Blick zurück, der lebensfeindlich und unfruchtbar ist.
Der verklärende Blick zurück an die gute alte Zeit lässt jede Gegenwart in schlechtem Licht erscheinen und entmutigt. Der negative Blick zurück an alle schlechten Erfahrungen, wie immer alles schlecht ausgegangen ist, lässt resignieren. Der beständige Blick zurück richtet alle Energie auf die Vergangenheit und klammert sich am Vergangenen fest. Da bleibt für die Gegenwart keine Kraft. Und Gott selbst hängt dann am Vergangenen. Mit diesem Blick zurück macht die Vergangenheit das Leben in der Gegenwart schwer, man schleppt die schwere Vergangenheit mit und hat keinen Blick für die Zukunft.
In Situationen der Krise, wenn alles verloren erscheint, in solchen Situationen braucht es einen neuen Blick, weiß nicht nur der Prophet: „Seht her“, schaut doch, macht die Augen auf, Neues entsteht, „merkt ihr es nicht?“, sagt er. „Schon kommt es zum Vorschein.“ Macht euch auf die Suche nach den Knospen. In den Knospen wird das Neue, das Zukünftige sichtbar. Im Bild der Knospen wird aber auch klar: Das Neue braucht noch Zeit zum Wachsen. Es braucht Geduld und Zuversicht, bis es zur vollen Blüte kommt.
Heute wissen wir: Das Volk Israel konnte aus dem Exil zurückkehren und dankt Gott dafür. Das Neue ist Wirklichkeit geworden. Die Aufforderung des namentlich unbekannten Propheten bleibt: Erinnert euch an das Geschenk des Lebens und Freiheit. Befreit euch vom lähmenden, unfruchtbaren Blick zurück, macht euch auf die Suche nach Knospen. Und damit ist am Weg nach Ostern nicht nur der wunderbare Frühling gemeint. „Seht her, nun mache ich etwas Neues. Schon kommt es zum Vorschein, merkt ihr es nicht?“