Roman von Michael Köhlmeier
Das Mädchen mit dem Fingerhut
Im Zentrum von Michael Köhlmeiers Roman steht ein sechsjähriges Mädchen aus einem nicht weiter benannten Land, das sich mutterseelenallein in einer westeuropäischen Großstadt durchschlagen muss. Der einzige Besitz des Kindes: ein Fingerhut, den es auf seiner Odyssee durch die westliche Wohlstandswelt bei sich trägt.
8. April 2017, 21:58
Das ist die Königsdisziplin im Reich der erzählenden Prosa: einen ganzen Roman aus der Perspektive eines Kindes zu erzählen. Michael Köhlmeier verzichtet auf einen raffinierten, vielschichtigen Plot, auf stilistischen Facettenreichtum und eine psychologisch differenzierte Figurenzeichnung. Stattdessen: Radikale Einfachheit. Und eine rigoros entschlackte Sprache.
Ein namenloser "Onkel" setzt die Kleine Yiza jeden Morgen am Eingang eines Marktes ab. Bei einem Markthändler namens Bogdan, soll sie um Essen betteln. Jeden Tag besucht die Kleine den Mann, er gibt ihr Brot, Wurst, Käse und sogar Schokolade zu essen. Yiza darf bei ihm sitzenbleiben, im geheizten Geschäftslokal, bis der namenlose Onkel sie abends am Rande des Markts wieder abholt. So geht das eine Zeitlang. Dann kommt der Onkel plötzlich nicht mehr. Die Kleine ist allein. Eine Odyssee beginnt - durch Polizeistationen, Kinderheime, Wohnhäuser, Scheunen, in überfüllten U-Bahnen und auf verregneten Landstraßen.
So sachlich und scheinbar emotionslos der Roman auch daherkommt: In jeder Zeile spürt man die Sympathie des Autors für seine vom Schicksal gebeutelte Heldin. Eine Art von Propaganda, die man als Leser gern akzeptiert.
Service
Michael Köhlmeier, "Das Mädchen mit dem Fingerhut", Roman, Hanser Verlag