Von Victor Sebestyen

1946: Das Jahr, in dem die Welt neu erstand

1946 waren die Europäer mit ihrem physischen Überleben beschäftigt, Berlin galt als Welthauptstadt des Verbrechens, in der Sowjetunion wurden an die 53 000 Personen des Brotdiebstahls angeklagt und dreiviertel von ihnen verhaftet. Der englische Journalist und Historiker Victor Sebestyen stellt in seinem Buch "1946" die These auf, dass eben jenes Jahr maßgeblich für die neue Nachkriegsordnung war.

Kontext, 18.3.2016

1945 ist out, es lebe 1946. Doch geht es nur um den Marketingvorteil, den man heuer mit dem Jubiläumsjahr 1946 beanspruchen kann oder hält die These des englischen Journalisten und Historikers Victor Sebestyen, dass nicht das Kriegsende, sondern 1946 das Schlüsseljahr für die neue Nachkriegsordnung war?

Jenes Jahr, das der amerikanische Präsident Harry Truman als das "Jahr der Entscheidungen" bezeichnete, da er seine Geduld mit der Sowjetunion verlor, dem strategischen Kriegsalliierten, der sich an keine Zusagen hielt? Zudem behauptet der Autor, die bi-polare Weltordnung, die mit den USA und der Sowjetunion zwei neue Weltmächte hervorgebracht hatte, wäre folgenschwerer gewesen als nach dem 1. Weltkrieg, da sie zu globalen Machtverschiebungen führte. Bisher unterbelichtet blieb auch, dass in Europa enorme ethnische Säuberungen und Zwangstransfers von Bevölkerungsteilen stattfanden.

Hält nun Victor Sebestyens These vom Schlüsseljahr 1946? Jein. Abgesehen davon, dass er in Bezug auf seine Quellen und ihre Interpretation nicht viel Neues bringt, gruppiert der Autor ein wenig plakativ längerfristige politische Prozesse um markante Ereignisse im Jahr 1946. Damit hat er zwar nicht Unrecht, doch ließen sich für diese längerfristigen Prozesse ebenso gut Ereignisse aus 1947 und weiter benennen – doch diese Jubiläen folgen erst.

Service

Victor Sebestyen, "1946 - Das Jahr, in dem die Welt neu entstand", Rowohlt/Berlin