Chinesischer Bestsellerautor Mai Jia
Der Schriftsteller Mai Jia stellt in China ein Phänomen dar: Einerseits erreichen seine Bücher Millionenauflagen und werden für Kino und Fernsehen verfilmt, andererseits hat er mit dem Mao Dun-Award Chinas renommierteste literarische Auszeichnung gewonnen und damit die höchsten Schriftstellerweihen empfangen.
8. April 2017, 21:58
Im deutschsprachigen Raum ist letztes Jahr sein Debütroman "Das verhängnisvolle Talent des Herrn Rong" erschienen, über ein verrücktes Genie, das während der Kulturrevolution im chinesischen Geheimdienst hochkomplexe Codes entschlüsselt. Heute Abend um 19 Uhr ist Mai Jia in der Buchhandlung Leporello in Wien zu Gast.
Kulturjournal, 21.3.2016
China in den 1950er Jahren: Die noch junge Volksrepublik unter Mao Zedong will dem imperialistischen Westen gewachsen sein und versucht einen schlagkräftigen Geheimdienst aufzubauen. Die zentrale Säule ist ein junges Mathematikgenie, das dazu abgestellt wird, den hochkomplexen Code des Feindes zu knacken. Dieser Rong Jinzhen ist hochintelligent, ein Einzelgänger an der Grenze zum Autismus und scheint immer nur einen Schritt vom Abdriften in den Wahnsinn entfernt zu sein. Mai Jia: "In der chinesischen Literatur oder Geschichte kennt man so eine Figur eigentlich nicht. Im Westen ist es ganz anders, da fällt mir gleich einmal Nietzsche ein."
Mai Jia hat siebzehn Jahre lang in der Volksbefreiungsarmee gedient. Lange Zeit war er dort einer Top-Secret-Einheit zugeteilt, wo er mehrere solcher Genies kennenlernte, die abgekapselt von der Gesellschaft an Geheimcodes und ihrer Entschlüsselung arbeiteten. Mai Jia: "Für meinen Herrn Rong gibt es nicht ein konkretes Vorbild. Er ist aus verschiedenen Personen zusammengesetzt, denen ich in meiner Zeit in der Einheit 701 begegnet bin. Solche Menschen sind sehr speziell, weil sie etwas Mystisches haben. Gehört hat man schon einiges von ihnen, tatsächlich begegnet ist ihnen aber kaum jemand."
Schwerelose Atmosphäre in realer Welt
2002 ist "Das verhängnisvolle Talent des Herrn Rong" im chinesischen Original erschienen. Und das Buch überraschte und begeisterte durch seinen ungewohnten Stil und seine Experimentierfreude. Da herrschte in den Erzählpassagen diese geheimnisvolle Aura, die einen an die magischen Realisten Lateinamerikas erinnert, allen voran Gabriel Garcia Márquez, dem erklärten Lieblingsautor Mai Jias. Gleich daneben stehen aber in fast dokumentarischer Manier Interviews, in denen Zeitzeugen über ihre Erlebnisse mit dem geheimnisvollen Herrn Rong berichten.
"Ich habe mehr als zehn Jahre an meinem Buch gearbeitet und die besondere Form hat sich erst langsam herauskristallisiert", sagt Mai Jia. "Ich habe viel geschrieben und vieles auch wieder verworfen. Es gab Zeiten, da war der Roman fast viermal so lang, hatte also weit über tausend Seiten. Mein letztendliches Ziel war es aber, zum einen eine schwerelose Atmosphäre zu schaffen, wie man sie aus dem magischen Realismus kennt, dieses fantastische Geschehen dann aber immer wieder in einer ganz realen Welt zu verankern. Deshalb gibt es diese Einschübe mit den Gesprächsnotizen. Auf diese Technik bin ich durch Zufall gestoßen, es war aber ein Zufall, der am Ende eines sehr langwierigen Arbeitsprozesses stand."
Pseudonym im Melderegister
Mai Jia wurde 1964 und damit kurz vor Beginn der Kulturrevolution geboren. Wie die meisten chinesischen Schriftsteller schreibt er unter einem Pseudonym. Mai Jia: "In China ist das völlig üblich. Mein Fall ist nur insofern besonders, weil mein Pseudonym meinen wirklichen Namen verdrängt hat. Als ich nach siebzehn Jahren meinen Dienst bei der Volksbefreiungsarmee quittierte, hat man aus Versehen nämlich nur mein Pseudonym ins Melderegister eingetragen. Für mich war das wie ein Wink, so als wollte mir mein Schicksal zu verstehen geben, dass ich mich in Zukunft nur mehr dem Schreiben widmen sollte."
Was bedeutet Mai Jia? "Ich komme aus einer Bauernfamilie, die hauptsächlich Weizen angebaut hat", erklärt der Autor, "und darauf spiele ich mit meinem Pseudonym an. 'Mai' heißt nämlich Weizen und 'Jia' Familie. Außerdem ist Salingers 'Der Fänger im Roggen' eines meiner Lieblingsbücher und das steckt ebenfalls in meinem Pseudonym drinnen, weil der Titel im Chinesischen nämlich mit 'Der Wächter im Weizenfeld' übersetzt wird."
Trilogie für eine Million Dollar
Mit fünf Millionen verkauften Büchern zählt Mai Jia zu Chinas erfolgreichsten Autoren. Und für das Schreiben einer neuen Roman-Trilogie hat ihm sein Verlag die Rekordsumme von umgerechnet mehr als eine Million US-Dollar gezahlt. Noch nicht auf Deutsch erschienen sind zwei weitere Agententhriller Mai Jias. Einer von ihnen spielt zur Zeit der japanischen Besatzung und kam als opulentes Historienepos auf die Kinoleinwand. "Alle meine Romane wurden in China verfilmt, fürs Kino aber auch fürs Fernsehen und fürs Internet", erklärt Mai Jia. "Jetzt hat auch erstmals eine westliche Produktionsfirma die Rechte für 'Das verhängnisvolle Talent des Herrn Rong' erworben, dieselbe, die auch 'The King’s Speech' und 'Room' produziert hat, und die haben schon ein zehnköpfiges Team engagiert, um das Drehbuch zu schreiben, ich bin also schon einigermaßen neugierig auf das Ergebnis."
Mit Mai Jias "Das verhängnisvolle Talent des Herrn Rong" gibt es eine neue Stimme, nicht nur in der chinesischen, sondern in der Weltliteratur zu entdecken. Und dass sich Mai Jia keinen Deut um die von manchen Kritikern scharf bewachte Grenze zwischen ernsthafter und Unterhaltungsliteratur schert, ist dem Roman nicht als Nachteil, sondern als weitere große Stärke anzurechnen.
Service
Heute Abend liest Mai Jia in der Buchhandlung Leporello aus "Das verhängnisvolle Talent des Herrn Rong". Beginn ist um 19 Uhr.
Leporello - Die Buchhandlung am Stephansplatz
Singerstraße 7
1010 Wien