Die letzten Jugoslawinnen

Wortlos nickt der bosnische Grenzbeamte die Einreise von David Višnjić ab. Als David vier Jahre alt war, flüchteten seine Eltern mit ihm nach Österreich. Seine Kindheit und seine Schulzeit hat er in Kärnten verbracht, heute lebt er als Fotograf in Wien.

  • Kriegerdenkmal

    Der Weg nach Sarajevo führt über die Brücke zwischen den Zwillingsstädten Slavonski Brod und Bosanski Brod. Slavonski Brod liegt in Kroatien. Bosanski Brod gehört zum serbischen Landesteil Bosnien-Herzegowinas. Dieses Denkmal erinnert nur an die serbischen Toten.

    David Višnjić

  • Ruine eines Hauses. Das Dach fehlt.

    In beiden Brods wurde bereits 1991 gekämpft, während im 270 Kilometer entfernten Sarajevo für den Frieden demonstriert wurde. Die Ruinen, in deren Wohnzimmern von einst meterhohe Bäume wachsen, verstehen die Einen als Mahnmal, die Anderen als Anklage.

    David Višnjić

  • Dorf mit vielen Menschen.

    Breza liegt rund 25 Autominuten von Sarajevo entfernt. In der Volkszählung von 1991 bezeichneten sich noch 20 Prozent der Bewohner als Jugoslawen. Nach dem Krieg wurde hier mit ausländischem Geld eine Moschee errichtet, die für die kleine Stadt mit rund 4.000 Einwohnerinnen und Einwohner groß scheint.

    David Višnjić

  • Altes rotes Haus mit Einschusslöchern

    Davids Großmutter Janja lebt im dritten und letzten Stock eines Wohnhauses mit 12 Einheiten, das zur k.u.k-Zeit errichtet worden ist. Die Fassade hat einige Einschusslöcher, der Dachstuhl scheint an einigen Stellen morsch– aber niemand hat Geld für Reparaturen.

    David Višnjić

  • Ein Erlagschein

    Es leben zum Großteil Pensionisten im Haus. Niemand von ihnen bekommt mehr als 150 Euro Pension pro Monat. Ein Blick auf die Statistik sagt: 150 Euro, bzw. 300 konvertible Mark, so heißt die Landeswährung, das ist die Durchschnittspension in Bosnien.

    David Višnjić

  • Alte Dame

    Am Markt von Breza gibt es günstige Kleidung, Second Hand-Ware. Anđa kauft an dem Tag eine Weste um einige wenige Mark.

    David Višnjić

  • Verfallenes Haus

    Die Straße, in der Janja, Andja und Slobodanka leben, war jahrzehntelang nach Tito benannt. Heute trägt sie den Namen von Alija Izetbegovic, dem ersten Präsidenten Bosnien-Herzegowinas.

    David Višnjić

  • Zerbombtes Haus

    Seit dem Friedensvertrag von Dayton kennt die bosnische Verfassung keine Jugoslawinnen und Jugoslawen mehr, sondern nur noch Bosniaken, Serben und Kroaten. Wer heute aus einer ethnisch gemischten Ehe stammt, muss für eine der drei Identitäten entscheiden, die am Papier übrig geblieben sind.

    David Višnjić

  • Älterer Herr.

    Die Arbeitslosigkeit im Land liegt bei 43 Prozent, in Breza haben die Fabriken und industriellen Anlagen aus der Zeit Jugoslawiens schon lange geschlossen. Heute sind nur noch die Förderbänder eines Unternehmens in Dauerbetrieb.

    David Višnjić

  • Stein auf der Straße

    Die Kohlemine von Breza hat den Krieg und den Wechsel zur freien Marktwirtschaft überlebt. Die Kohlemine von Breza hat den Krieg und den Wechsel zur freien Marktwirtschaft überlebt. Und bezahlt die Arbeiter gut und meist pünktlich, heißt es. Einer von ihnen war der vor kurzem pensionierte Sevko Jusič.

    David Višnjić

  • Denkmal für Gefallene

    Ein einziges antifaschistisches Denkmal hat den vergangenen Krieg überdauert. Die übrigen sind während des Krieges bzw. danach vernichtet bzw. entfernt worden. Das gilt auch für die Büsten von Volkshelden, die für ihre Leistungen im Partisanenwiderstand ausgezeichnet worden sind.

    David Višnjić

  • Zwei Frauen und ein Mann hängen eine Rote Fahne auf

    So ganz verschwunden ist Tito allerdings nicht – weder aus dem Stadtbild, noch aus den Köpfen der Einwohner von Breza: Keine fünf Gehminuten von den Drillingshäusern, befinden sich die Klubräume des Verbands der Antifaschisten und ehemaligen Volksbefreiungskämpfer von Breza.

    David Višnjić

  • Zwei Frauen und ein Mann sitzen vor der roten Fahne.

    „Unser Ziel ist, die Ideen des Antifaschismus zu bewerben. Auf diesen Zielen beruht auch die Europäische Union. Der 9. Mai ist der Tag Europas und der Tag des Sieges gegen den Faschismus. In den 1990er Jahren haben wir hier, im ehemaligen Jugoslawien, einmal mehr erleben müssen, wohin der Faschismus führt.“

    David Višnjić

  • Älterer Herr mit Orden sitzt auf einem Sofa.

    Ragib Duranović ist der älteste noch lebende Partisane in Breza. Er ist Mitglied der Antifaschisten und hat im Zweiten Weltkrieg gegen die NS-Besatzung, sowie deren Kollaborateure – die kroatischen Ustasche und die serbischen Tschetniks – gekämpft. Dafür wurde er mehrfach ausgezeichnet.

    David Višnjić

  • Drei Orden

    1944 schloss sich Ragib den Partisanen an. Sein Deckname war Omer. „Wir haben 1944 Travnik von den Faschisten befreit, von den Kroaten und den Deutschen. Jeder von uns liebte die Freiheit.“

    David Višnjić

  • Zerbombte Gebäude

    David Višnjić

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"Früher war es besser"

„Zwar sind meine Wurzeln in Bosnien", erzählt Višnjić , "aber er hält mich nichts hier, außer der Besuch bei meiner Großmutter. Sie ist eine sogenannte Rückkehrerin. Die kurz nach dem Krieg zurückgekehrt ist und hier gleich ihren ersten Herzinfarkt bekommen hat.“

Großmutter Janja lebt in Breza, rund 20 Minuten von Sarajevo entfernt, im dritten und letzten Stock eines Wohnhauses, das zur k.u.k-Zeit errichtet worden ist. Es ist über 100 Jahre alt. Die Fassade hat einige Einschusslöcher, der Dachstuhl scheint an einigen Stellen morsch. Im Wohnzimmer, auf dem Fernsehregal, steht ein Paar Kinderschuhe. David hat sie getragen, bevor die Eltern mit ihm nach Österreich geflohen sind. Die blaugrauen Schuhe haben den Krieg überdauert – selbst als die Wohnung unbewohnt und das Haus stark beschädigt gewesen ist.

Es gibt Kaffee, zubereitet in der džezva, der typischen bosnischen Kaffeekanne. Und dazu Napolitanke von Jadro, ein Produkt, das auch schon in jugoslawischen Regalen stand. Janja, 77 Jahre alt, lebt alleine und ist früh Witwe geworden. Ihre Töchter hat sie alleine großgezogen: „Damals war kaum etwas teuer, jetzt gibt es alles Mögliche, aber vieles ist nicht gerade billig. Früher brauchte man auch weniger Geld. Heute gebe ich 100 Mark für Medikamente aus – eine Drittel meiner Pension. Eine Ultraschalluntersuchung kostet 60 Mark. Das ist für mich viel. Dazu kommen 20 Mark für Strom, 16 fürs Kabelfernsehen, 23 fürs Telefon. Früher war es besser – sollen sie doch daherreden, was sie wollen.“

Drei alte Damen

David Višnjić

Damenkränzchen an der Bushaltestelle

Das Haus, in dem Janja wohnt, zählt zu den „Drillingshäusern“ von Breza. Während der Besatzung Bosnien-Herzegowinas durch Österreich-Ungarn wurden nebeneinander drei sehr ähnliche Wohnhäuser im k.u.k-Stil errichtet. Im Haus nebenan wohnt Cousine Anđa, 81 und noch ein Haus weiter Freundin Slobodanka, 75 Jahre alt. Vor dem Krieg hat man sich im Park getroffen, der an die Drillingshäuser angrenzt. Seit Jahren steht dort nun das Fundament für ein Denkmal für die Opfer des letzten Krieges: „Der Park ist ruiniert. Fertig gebaut wurde nicht. Das war hier sehr schön, früher. Aber der Spielplatz, viele Pflanzen und Sitzbänke mussten weichen. Das Geld für das Denkmal hat sicher jemand an sich genommen. Überall das gleiche: Wer kann, der nimmt.“ Seit die Parkbänke dem Betonfundament weichen mussten, sitzen Janja, Anđa und Slobodanka auf der Bushaltestelle herum.

An diesem Tag treffen sie sich jedoch im gemeinsamen Garten. Das Gespräch kommt auf eine Sendung, die am Vorabend im Fernsehen zu sehen war. Der Enkel von Tito war in der Sendung zu Gast. Josip Broz, besser bekannt als Tito, war der Gründer und Staatschef des Sozialistischen Jugoslawien. Selbst Titos Enkel, staunen die Frauen, ist völlig verarmt und ernähre sich von einem halben Laib Brot am Tag, dazu etwas Schmalz und Pfeffer. Auch Anđa und Janja haben das Interview gesehen. Ob Ihnen Tito abgeht? „Mögen nur bald einer kommen, der so ist, wie er“, sagt Slobodanka. „Scheiß auf Tito, fällt ihr Anđa ins Wort. Aber Slobodanka will es nicht dabei belassen. Es waren jene, die nach ihm gekommen sind, die den letzten Krieg begonnen haben.

Antifaschistische "Jugo-Nostalgiker"

So ganz verschwunden ist Tito allerdings nicht – weder aus dem Stadtbild, noch aus den Köpfen der Einwohner von Breza: Keine fünf Gehminuten von den Drillingshäusern entfernt, befindet sich eine Straße, die nach Tito benannt ist und etwas weiter die Klubräume des Verbands der Antifaschisten und ehemaligen Volksbefreiungskämpfer von Breza.

Der Vorsitzende und die beiden Vorstandsmitglieder kleben mit Tixo die Vereinsfahne an die Wand. Eine mit rotem Stern. Ein Porträt von Tito, eine Wandbüste, die sein Profil zeigt und ein Tito-Kalender sind mit Nägeln an den Wänden befestigt. Ein Standbild von Tito und eine weitere Büste stehen auf dem Sitzungstisch. Sabahudin, Milka und Branka bezeichnen sich als Jugoslawen bzw. Jugoslawinnen. „Oft werden wir als Jugo-Nostalgiker belächelt“, sagt Branka. Man ignoriere das und bemühe sich um gute Verbindungen in die Nachbarsländer. „Wir sind aktuell praktisch die einzigen Feinde des Ethnonationalismus. Sei es des kroatischen, des serbischen oder des bosniakischen. Jede Seite propagiert in jeder Hinsicht ihre eigenen Wahrheiten. Wir fordern im Grunde gleiche Rechte für alle Bürgerinnen und Bürger Bosnien-Herzegowinas. Wir wollen nicht, dass die Bevölkerung gespalten wird und dass wieder unwichtig wird, ob ein Nachname vermeintlich kroatisch, serbisch oder bosnisch klingt“, sagt Branka.

Der Verband der Antifaschisten und ehemaligen Volksbefreiungskämpfer von Breza hat rund 200 Mitglieder. Das ist viel für eine Stadt mit 4.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Man zählt zu den aktivsten Verbänden der gesamten Region. Der älteste noch lebenden Partisane und Mitglied der Antifaschisten von Breza ist Ragib Duranović. Er lebt mit seiner Familie auf einem Hügel über Breza. Milka, Branka und Sabahudin besuchen ihn. Von der „Brüderlichkeit und Einigkeit“ zwischen den Völkern, für die Ragib gekämpft hat, ist kaum noch etwas übrig: „Jetzt gibt es fast überall nur noch Nationalismus. Ob bosniakischen, serbischen oder kroatischen“.

Was dagegen tun? Im Grunde hat sich die Antwort auf diese Frage in den vergangenen Jahrzehnten nicht verändert, sagt Ragib: „Wer arbeitet, fürchtet den Hunger nicht. Wer arbeiten kann, ist glücklicher. Ohne Arbeit kein Leben“. Ein trauriger Befund für Bosnien und Breza. Die Arbeitslosigkeit im Land liegt bei 43 Prozent.