Spannungsfeld Normen und Architektur
Anfang April ist ein neues Normengesetz in Kraft getreten. Eine aktuelle Umfrage unter Architekten in Wien, Niederösterreich und dem Burgenland zeigt, dass viele mit dem neuen Gesetz unzufrieden sind. Die öffentlichen Interessen würden nicht ausreichend berücksichtigt und zu viele Normen das Bauen verteuern. Die Kosten trägt der Verbraucher.
8. April 2017, 21:58
Morgenjournal, 4.5.2016
Normen statt Formen
Jede Zeit erfand ihre Formen. Das war im Biedermeier so und in der Jugendstilzeit. Auch ein Geländer aus den 1970er Jahren erkennt man auf Anhieb, sagt Heinz Priebernig, der an der TU Wien Hochbau unterrichtet: "Vor 50, 60, vor 100 Jahren gab es keine Regel der Technik, sondern die Regel der Baukunst."
Die heutige Armut an Formen findet Priebernig betrüblich, sie liegt an einem Übermaß an Normen. Sie werden vom Verein Austrian Standards Institut erfunden und verkauft. "Von dieser Normenflut müssen wir loskommen: Sie bedeutet ein Geschäftsmodell von Austrian Standards, aber auch von großen Konzernen, die sich ihre Regeln, aufgrund ihrer wirtschaftlichen Macht selber schreiben."
Priebernig meint, wenn neuerdings alle Dächer mit einem Zaun umgeben sein müssen, der über 1,10 Meter hoch ist und der pro Laufmeter 500 Euro kostet, nutze das vor allem den Produzenten. Kritiker meinen nämlich, Rauchfangkehrer oder Dachdecker könnten sich auch mit einem Karabiner sichern. Die Kosten trägt jedenfalls der Endverbraucher.
Kosten trägt der Verbraucher
Auch wenn Normen keine Gesetze sind, hat ein Nichtberücksichtigen der Norm juristisch oft fatale Auswirkungen für Architekten, weiß Herbert Ablinger von der Kammer für Architekten und Ingenieurkonsulenten für Wien, NÖ und Burgenland. Für einen Architekten bedeuten Normen: "Dass er sich an Normen halten muss. Tut er das nicht, geht er bei einem Schaden ins Risiko." Dann werde als erstes festgestellt: Was ist nicht normgemäß.
Außerdem verhindern Normen, dass Architekten neue formale Lösungen finden können. Auch für einen Bauträger wie Jörg Wippel von der WVG ist die Normenflut ein Ärgernis: "Früher hat man für das Bauen von Häusern einen Architekten und einen Statiker gebraucht, heute eine Vielzahl von Sonderfachleuten. Es ist vor allem ein Verwaltungsaufwand, der die Prozesse verlängert." Und verteuert. Die Mehrkosten werden in Mieten und Kaufpreise eingearbeitet.
Staat vernachlässigt Gemeinwohl
Und das bei einem Bevölkerungszuzug von mehr als 40.000 Menschen jährlich in Wien, für die dringend neuer Wohnraum geschaffen muss. Heinz Priebernig fordert die Anwesenheit von Vertretern der Wissenschaft, des Handwerks, des Wirtschaftsministeriums und von Architekten in den Normungsausschüssen, um diese nicht ganz den Interessen der Industrie zu überlassen: "Der Staat vergisst in dieser Normwerdung, dass Gemeinwohlinteressen damit nicht mehr wahrgenommen werden", so Priebernig.
Derzeit wird in einem sogenannten "Dialogforum" die Problematik gesichtet. Bis Ende 2017 soll dann über die zukünftige Normgebung entschieden werden. Damit die Normen auch wieder Platz für ästhetische Formen lassen.
Service
Im heutigen "Kulturjournal" (17:09 Uhr) gibt es ein ausführliches Gespräch mit Hein Priebernig, der an der TU Wien Hochbau und Entwerfen unterrichtet.
Austrian Standards - Dialogforum Bau Österreich