Bibelessay zu Offenbarung 22, 12 - 14. 16 - 17. 20

Die Symbole sind es, die mich in diesem Bibeltext faszinieren. Symbole wie der „strahlende Morgenstern“, das „Wasser des Lebens“, der „Baum des Lebens“.

Morgenstern, Wasser, Baum: Worte, die in mir etwas zum Klingen bringen. Um beim Baum zu bleiben: ein Symbol, ein Ursymbol des Lebens, in der Antike wie heute. Der Baum: Schöpfung, zu Holz geworden. Aus der Erde geboren, in deren Schoß die Wurzeln dringen. Einst Same im Dunkeln, unscheinbar und verborgen. Im Anfang klein wie alles Leben. Eingehüllt in Stille, an die der Regen klopft. Leises Sich-Regen antwortet dem Wasser. Zärtliches Begegnen, behutsames Öffnen. Aus dem Kern löst sich ein Keim, der nach oben drängt. Auf-brechen zum Licht.

Der „strahlende Morgenstern“, das „Wasser des Lebens“, der „Baum des Lebens“: Formulierungen aus der Bibel, die hinabreichen ins kollektive Bildbewusstsein der Menschen; Zeichen und Symbole, die an tiefere Schichten der Seele rühren. Denn Symbole sind – wie der evangelische Theologe Paul Tillich immer wieder betont –, die ‚Sprache der Religion‘.

„Bäume des Lebens“, heißt es einige Verse vor dem heute gelesenen Abschnitt aus der Offenbarung des Johannes, „Bäume des Lebens stehen auf beiden Seiten des Stromes. Zwölfmal tragen sie Früchte, jeden Monat einmal; und die Blätter der Bäume dienen zur Heilung der Nationen“ (Offb 22, 2b). Heilsames Grün für alle, üppige Nahrung zu jeder Jahreszeit. Was hier geschildert wird, soll Erinnerungen an die bekannte Geschichte vom Paradies wecken. Das letzte Kapitel des Neuen Testaments, sein Ende bezieht sich nämlich ausdrücklich auf den Anfang des Alten Testaments, auf dessen erste Kapitel.

„Adonaí Elohím“, steht dort im Buch Genesis, in der zweiten Schöpfungserzählung, „Gott, der Herr, ließ aus der adamáh, aus der Ackererde, allerlei Bäume wachsen, verlockend anzusehen, mit köstlichen Früchten, in der Mitte des Gartens aber ez-hachajjím, den Baum des Lebens...“ (Gen 2, 9). Und in éden, übersetzt „Wonneland“, in diesem Garten hat auch das „Wasser des Lebens“ seinen gewaltigen Quellgrund. „Ein Strom“, so wieder der Text im Buch Genesis, „ein Strom entspringt in Eden, der den Garten bewässert; dort teilt er sich und wird zu vier Hauptflüssen“ (Gen 2, 10). Zwei davon sind allgemein bekannt, nämlich Eufrat und Tigris. Das lebensspendende Element also in wahrhaft paradiesischer Fülle!

Das „Wasser des Lebens“ und der „Baum des Lebens“: nur zwei aus der Vielzahl an Symbolen, wie sie sich in der Offenbarung des Johannes finden. Schon beim ersten Lesen oder Hören fällt auf, dass in diesem Buch auch symbolische Zahlen eine große Rolle spielen. Vor allem vier, sieben und zwölf. Sie bedeuten immer etwas Ganzes, Vollendetes. Vier Flüsse im Garten Eden und vier Himmelsrichtungen. Sieben Tage einer Woche und das Buch mit sieben Siegeln. Zwölf Monate und die zwölf Tore des himmlischen Jerusalem.

Die Zahl sieben: Johannes richtet seine Schrift an sieben Gemeinden in Kleinasien. Am bekanntesten davon ist Ephesus, das ich schon oft mit Reisegruppen besucht habe: Zentrum der hellenistischen Kultur, aber auch des römischen Herrscherkults. Domitian, unter dem Johannes nach Patmos verbannt wird, Kaiser Domitian lässt sich als dominus et deus, als Herr und Gott verehren. Bedrängte Zeit für Christen. Daher die drängende Bitte: „Komm, Herr Jesus!“ Letzte Zeile im letzten Buch des Neuen Testaments, verfasst um das Jahr 100 n.Chr. Letzter Satz auch der Lesung an diesem Sonntag: „Komm, Herr Jesus!“