"Gestrandet" - Ausstellung in der Hauptbücherei
Das Projekt "Gestrandet" - in der Hauptbücherei und bei den Wiener Festwochen - bietet Einblick in die Lebenswelten von Jugendlichen verschiedener Herkunft: einheimischen Lehrlingen, Jugendlichen mit Migrationshintergrund und unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen. Da werden heikle politische Themen unverblümt angesprochen.
26. April 2017, 12:23
Kulturjournal, 9.5.2016
Sprüche, die es in sich haben
Die beiden Künstlerinnen Birte Brudermann und Clara Peterlik entwickeln seit acht Jahren Projekte mit Jugendlichen unterschiedlicher Herkunft. Sie bringen Lehrlinge aus Österreich, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sowie Schülerinnen und Schüler aus zugewanderten Familien zusammen. Das jüngste Projekt dieser Art heißt "Gestrandet". Vom September 2015 bis Jänner 2016 wurden Gespräche mit rund 50 Jugendlichen geführt. Ergebnisse daraus sind seit einigen Tagen in einer Ausstellung in der Wiener Hauptbücherei zu sehen. Man bekommt einen kleinen Eindruck davon, was hier aufgewachsene Jugendliche oft sehr anders sehen als neu angekommene. Bei den Wiener Festwochen wird das Projekt dann mit Round-Table-Gesprächen fortgesetzt.
Service
Wiener Festwochen - Gestrandet
Büchereien Wien - Gestrandet. Ausstellung in der Hauptbücherei am Gürtel
3. Mai bis 14. Juni 2016, jeweils 11:00 bis 19:00 Uhr
Traiskirchen, Lesben, Mutterkreuz
Im Eingangsbereich der Wiener Hauptbücherei sind derzeit die Wände mit handgeschriebenen Aussprüchen von Jugendlichen gepflastert. Manche der Mini-Plakate haben es in sich. "Mein letzter Genuss waren drei Zigaretten in Traiskirchen", steht da in ausdrucksvoller roter und schwarzer Blockschrift. In schulmäßig gesitteter Schreibschrift erfährt man: "Lesben sind eine Gesellschaftskrankheit." Dann wiederum: "Die Nichtgläubigen können den Sinn des Lebens nicht beantworten." Auch der Vorschlag "Man könnte ein Mutterkreuz einführen" hat seinen Ort an der Wand.
Die Künstlerinnen Clara Peterlik und Birte Brudermann haben Jugendliche nicht nur einfach so zu ihren Haltungen befragt, sondern ihnen Themen gestellt. Nämlich: "Körper/Intimität/Autorität", "Genuss" und "Das Unheimliche". Die Jugendlichen österreichischer und migrantischer Herkunft sowie die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge haben in den Gesprächen unverblümte und manchmal sehr persönliche Mitteilungen gemacht, erzählt die Künstlerin Birte Brudermann.
Thema Gewalt durch den Vater
Eines der Themen quer durch die Kulturen war Gewalt in der Familie. "Das war kein Thema, das wir von vornherein besprechen wollten, aber es kam immer wieder in den Gesprächen, und ab diesem Moment sind junge Burschen wirklich förmlich aufgebrochen. Wo ich sehe, dass da ein ganz großes Bedürfnis ist, über das zu sprechen."
An Hörstationen laufen kleine Audiofeatures mit Ausschnitten aus den Unterhaltungen. "Ich finde, sowas kann ein Kind eigentlich nur psychisch zerstören, wenn es geschlagen wird oder gewaltsam irgendwas nicht erlaubt wird ; zwar kann es sein, dass man's nicht sofort merkt, aber mit der Zeit, selbst wenn es schon aufgehört wird zu schlagen, können noch immer Schäden bleiben. Ich wurde von meinem Vater geschlagen, sobald ich gelogen habe, aber das Lügen kommt eigentlich nur, weil ich früher Angst vor ihm hatte. Und wenn ich halt die Wahrheit sage, weiß ich, es gibt Schläge. Aber wenn ich lüge, weiß ich, es gibt auch Schläge."
Verschiedene Kulturen im eigenen Land: "Man geht unter"
Bei anderen Themen klaffen die Erfahrungen der Jugendlichen - und vor allem die Schlussfolgerungen aus diesen Erfahrungen - denkbar weit auseinander. Ein Lehrling antwortet auf die Frage, ob er nicht manchmal auch zum Kebab-Stand geht: "Das ist was, was ich versuche, immer wieder zu vermeiden. Weil ich sehe immer die 3 bis 6 Euro, was das Kebab kostet, kann er schon mal die Hälfte wieder heimschicken, dass die ganze Familie herkommt. Der baut fünf, sechs, sieben Jahre lang einen Kebab-Stand auf, hat das Geld, dass seine Familie herkommt, die kann wiederum kein Deutsch. Dann haben wir wieder die da, dann leben die wieder untereinander. Dann bilden sich bei uns Gruppierungen. Aus den Gruppierungen haben wir dann wieder verschiedene Kulturen, verschiedene Länder im eigenen Land, und dann: Türken, Bosnier, Serben, die hauen sich sowieso immer auf die Gosch'n, die Österreicher müssen zuschauen, weil wenn wir uns einmischen, sind wir auch hinnig. Man geht unter!"
Warum Jugendliche freiheitlich wählen
Seit Jahren macht Birte Brudermann in ihren Projekten die Erfahrung, dass Lehrlinge und Berufsschüler oft fast durchgängig die Freiheitlichen als Partei ihrer Wahl nennen. "Ein Jugendlicher hat gesagt: 'Ich bin 16, und finde es blöd, dass ich mit 16 wählen soll, weil ich ja nicht weiß, worum's geht, und die FPÖ ist die einzige Partei, wo ich versteh, worum's geht.' Es gab auch einen anderen, der hat gesagt, er würde SPÖ wählen, aber die reden für ihn so, dass er’s nicht versteht. Und wenn man dann diskutiert: Da gibt’s Slogans, die werden quasi in Fleisch und Blut übernommen, und wenn man versucht, einen anderen Standpunkt zu erklären, sind diese Sätze so stark, dass es fast unmöglich ist, dass es da zu kontern."
Extreme Äußerungen kamen aber auch manchmal von jugendlichen Flüchtlingen und Zuwanderern - vor allem was das Frauenbild anbelangt. "Da kamen von den Flüchtlingen Aussagen, die uns als europäische Frauen sehr fremd sind, und dann kam aber so der Zusatz: ja was wollt Ihr Europäer, Ihr seid wenige. Und wenn wir aus Asien und Afrika kommen, Ihr seid einfach mehr und viel stärker. Das sind genau die Themen, wo ich sag, da müssen wir jetzt uns Gedanken machen, und nicht in 15 Jahren."
Auch differenzierte, reife Äußerungen
Viele Äußerungen der Jugendlichen entsprechen dann aber doch nicht extremen, vorurteilsbedingten Positionen. Es gibt auch reife, von Offenheit zeugende Statements. Wie hier in einem kurzen Animationsfilm, den Berufsschüler gestaltet haben. "Na eigentlich ist man fremd, wurscht wo man hingeht. Ob ich jetzt in die Schule geh am Anfang, ist es auch fremd. Oder auf eine neue Baustelle komm, ist es auch fremd für mich. Im Prinzip ist das ganze Leben fremd für die Person, weil man immer was Neues sieht. Man lernt aber viel dazu. Von fremden Sachen, sag ich jetzt einmal."
In der Ausstellung werden die Aussagen der Jugendlichen kombiniert mit theoretischen Texten zu Themen wie "Genuss" oder "Das Unheimliche". Von der Kultur- und Sozialwissenschaftlerin Hanna Hacker und dem Soziologen Helmut Dahmer. "Die Menschen aus der Fremde erinnern die hier Ansässigen auch daran, dass sie selbst die Erben von Migranten, Vertriebenen und Flüchtlingen sind, und dass es keine Garantie dafür gibt, dass nicht auch sie einmal wieder zu Heimatlosen werden."
Die Diskussionen zwischen Jugendlichen verschiedenen Hintergrunds und Theoretikern werden bei den Wiener Festwochen ab 20. Mai weitergehen - als Debatten mit dem Publikum.