John Irving: "Straße der Wunder"
In seinem 14. Roman erzählt der amerikanische Bestsellerautor John Irving von einem Buben, der in Mexiko auf einer Müllhalde aufwächst, sich selbst das Lesen beibringt und es zum anerkannten Schriftsteller in Amerika bringt. Aber dafür braucht es Wunder.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 25.5.2016
Aus Berlin,
"Ich wollte mir Geschichten ausdenken"
John Irving zeichnet immer wieder Figuren, die mit ihrem "Anders sein" auf eine harte Probe gestellt werden. Er schreibt an gegen Diskriminierung - egal ob es um die Herkunft, Rasse oder die sexuelle Orientierung geht. 1968 ist sein erster Roman, "Lasst die Bären los!", erschienen. Zehn Jahre später hat er mit "Garp und wie er die Welt sah" seinen ersten Bestseller gelandet. Und das, sagt John Irving, sei für ihn das größte Glück gewesen, denn von da an konnte er sich vollkommen seinem einzigen, brennenden Berufswunsch widmen.
"Ich wollte mir Geschichten ausdenken. Den ganzen Tag. Sieben Tage die Woche", so Irving. "Mein erster Berufswunsch war Schauspieler, weil ich im Theater aufgewachsen bin; aber ich habe schon mit 15, 16 verstanden, dass ich nicht nur eine Figur auf der Bühne darstellen wollte, ich wollte alle Figuren sein. Und das kann nur ein Schriftsteller."
Und genau das tut John Irving mit überbordender Fantasie. Auch in "Straße der Wunder" ist sein Kosmos bevölkert von zwei ganz besonderen Geschwistern: dem Müllhaldenkind Juan Diego und dessen Schwester, die hellseherische Fähigkeiten hat; von Geistern, Priestern, Zirkusleuten und von einer transsexuellen Prostituierten, die sich in einen Jesuitenpater verliebt. Die beiden werden Juan Diego adoptieren, und ihm den Aufstieg zum Schriftsteller ermöglichen.
Unmögliches wird möglich
Doch bevor das geschehen könne, müsse es erst ein Wunder geben, sagt John Irving, und lässt in seinem Roman eine Madonnenstatue weinen. "Da soll ein Waisenjunge aus der Obhut der Kirche freigegeben werden, damit ihn zwei schwule Männer adoptieren können. Ja, sie lieben ihn und sie werden ihm großartige Eltern sein, aber meine Überzeugung ist, da braucht es schon ein fettes Wunder um das möglich zu machen", so der Autor.
Diese deutliche Kritik an der Institution Kirche schimmert durch den ganzen Roman. Einige Kritiker haben über "Straße der Wunder" geschrieben, Irving grabe immer wieder dieselben Themen aus. Zum Beispiel den Kampf für das Recht auf Abtreibung - wie schon in "Gottes Werk und Teufels Beitrag"; oder sein Anschreiben gegen sexuelle Diskriminierung.
Toleranz: "Wir sind nicht weitergekommen"
Kurz vor dem Interview hat Irving einen Artikel in der "New York Times" darüber gelesen, dass die Republikaner Transgenderkindern in Amerika verbieten wollen, Schultoiletten zu benutzen. Da kann er sich richtig in Rage reden: "Das letzte Mal, dass wir ein solches Verbot hatten war, als wir Schwarze gezwungen haben, extra Toiletten zu benutzen. Also bitte, wirklich viel weiter sind wir da nicht gekommen, in der Abteilung Toleranz und Akzeptanz. Also muss ich weiter darüber schreiben."
Irving ist ein bekennender liberaler Demokrat. Zum amerikanischen Wahlkampf hat er eine dezidierte Meinung: Donald Trump hält er für einen unberechenbaren Opportunisten und würde ihn am liebsten in Frühpension schicken. Er selbst ist auch mit 74 noch lange nicht schreibmüde und hat schon die nächsten drei Romane im Kopf und ein Drehbuchversion von "Garp und wie er die Welt sah" für eine TV-Miniserie in Arbeit.
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John Irving, "Straße der Wunder", Roman, Diogenes
Originaltitel: "Avenue of Mysteries"