Von Heinrich Gerlach

Durchbruch bei Stalingrad

"Als ob man sich vor Stalingrad schonen konnte." Heinrich Gerlachs Roman "Durchbruch bei Stalingrad" schildert in unverblümter Prosa die grausame Realität des Unterganges der 6. Armee aus deutscher Sicht. Heinrich Gerlachs Stalingrad-Roman ist kein notwendiges, wenn auch ein stellenweise durchaus imposantes Buch.

Helme

KIEPENHEUER UND WITSCH

Stalingrad – das ist bekannt. 230.000 deutsche Soldaten werden im November 1942 in der Stadt an der Wolga von der Roten Armee eingeschlossen. Zwei Monate später, am Ende der Schlacht, geraten 110.000 Mann in sowjetische Gefangenschaft. Nach dem Krieg kehren 6000 Überlebende zurück.

Dass in Stalingrad insgesamt 700.000 Menschen ums Leben kamen und ein Großteil der Toten Soldaten der Roten Armee waren gehört in unseren Breiten erst seit dem Ende der Sowjetunion zum allgemeinen Geschichtswissen, wenn überhaupt. Bis dahin galt die Schlacht an der Wolga wohl als Katastrophe, als eine Art Mythos, in vielfacher Hinsicht geprägt durch die Sicht der Nazis, die den so genannten "Opfergang der 6. Armee" als Staatsbegräbnis zelebrierten.

Heinrich Gerlachs "Durchbruch bei Stalingrad" war 1945 fertig. Wir betreten das Schlachtfeld noch einmal am Anfang, zum ersten Mal in geschliffener, unverblümter und traditioneller Prosa.

Heinrich Gerlach erzählt den Untergang der 6. Armee in drei Teilen: "Wetterleuchten" beschreibt das Herannahen der sowjetischen Offensive bis zur Schließung des Kessels; "Zwischen Nacht und Morgen" die immer größer werdende Verzweiflung der Wehrmachtssoldaten und Offizier; ein Kapitulationsangebot der Roten Armee wird abgelehnt. Der dritte Teil schließlich – "Am Kreuz der Erkenntnis" - behandelt die Endphase der Schlacht; all das immer aus deutscher Sicht.

Das 500-seitige Schlachtengemälde mit einem guten Dutzend aus der Menge herausgegriffenen Figuren umfasst einen Zeitraum von zwei Monaten. Gerlach bleibt dabei sachlich, protokollarisch knapp, atmosphärisch, aber ohne Kitsch.

Der eigentlich Protagonist, der Aufklärungsoffizier Breuer, aus dessen Perspektive meist erzählt wird, bleibt eigentümlich farblos; umso deutlicher (und sympathischer) gerät dessen Fahrer Lakosch, der sich zunehmend Gedanken über den Nationalsozialismus macht. Lakosch wird schließlich desertieren. Und es ist auch Lakosch, aus dessen Perspektive und in Rückblende eine Fast-Erschießung jüdischer Häftlinge geschildert wird – bis zur Rettung durch ehrenhafte deutsche Offiziere.

Heinrich Gerlach lässt auch – quasi politisch korrekt - die österreichischen Teilnehmer der Schlacht von Stalingrad durch eine komplizierte Konstruktion irgendwie gut weg kommen.

Am Ende stehen die Kapitulation des Generals Paulus, der noch zum Feldmarschall ernannt wurde und der imposant-eigenwillige Versuch des Autors Gerlach, mit dem Ende der Schlacht das ganze "Verhängnis" des Nazitums irgendwie zu dekonstruieren.

Der letzte Satz von "Durchbruch bei Stalingrad" bleibt Hitler überlassen: "Die Kämpfer von Stalingrad haben tot zu sein!"

Heinrich Gerlachs Stalingrad-Roman ist kein notwendiges, wenn auch ein stellenweise durchaus imposantes Buch. Ein profundes Nachwort eines Zeithistorikers anstatt der reißerischen Rekonstruktion der Auffindung des Manuskriptes in einem Moskauer Archiv wäre allerdings besser gewesen.

Text: Julia Reuter