Bibelessay zu Lukas 15, 1 – 32
„Ein Gott, der immer nur vergeben und lieben darf, verliert jede männliche Persönlichkeitsstruktur“. So der Augsburger Theologe Anton Ziegenaus in einem Vortrag in der Linzer Sommerakademie1992.
8. April 2017, 21:58
Die Auseinandersetzung mit Friedrich Nietzsche hatte ihn so urteilen lassen. Nietzsche hatte den Tod Gottes verkündet. Gestorben sei er weich und mürbe und mitleidig, einem Großvater ähnlicher als einem Vater in seinem allzu großen Mitleid, so Nietzsche. Und der Theologe Ziegenaus fuhr fort: „Auch wenn hinter diesen Worten Nietzsches furchtbare Lehren vom Übermenschen und vom Hass auf das Mitleid mit dem Schwachen zum Vorschein kommt, ist doch zu fragen, ob nicht ein Gott, der immer nur lieben und vergeben darf, noch attraktiv genug erscheint, um als Ziel menschlichen Lebens erstrebenswert zu sein. Manchmal verliert ein solcher Gott jede männliche Persönlichkeitsstruktur." Nietzsche, der Prophet der modernen Zeit, schaffte also Gott wegen seines Mitleids mit uns, den erbärmlichen „Untermenschen“ ab. Der Theologe wiederum spricht Gott ab, dass er Mitleid haben könne. Das mache ihn unattraktiv wie einen weichlichen Mann für eine Frau.
Die Fähigkeit zum Mitleid, zum Mitleiden, scheint mit unserer Zeit nur schwer vereinbar zu sein. Als die Kommunisten 1917 in Russland an die Macht kamen, gaben sie ein neues Russisch-Wörterbuch heraus. Das Wort miloserdie – Mitleid – wurde darin ersatzlos gestrichen. Die Welt brauche Gerechtigkeit, nicht Mitleid, so die Botschaft.
Filmisch wurde diese Haltung in einem der berühmtesten Western vermittelt. Vier Oskars erhielt der Film mit Clint Eastwood in der Hauptrolle. Kurz die Handlung: „In einer kleinen Stadt kehren zwei Männer in einem Bordell ein und richten eine der Prostituierten ziemlich übel zu. Nachdem der Sheriff die beiden mit einer sehr geringen Strafe davonkommen lässt, beschließen die Frauen, ihr gespartes Vermögen als Kopfgeld auf die beiden auszusetzen. Kurze Zeit später macht sich ein junger Revolverheld auf den Weg, um sich das Geld zu verdienen. Unterwegs sammelt er den mittlerweile gealterten Clint Eastwood ein. Die Geschichte nimmt ihren Lauf. „Erbarmungslos“ wandelt sich dann freilich unter der Hand in ‚urgerecht‘: Den Bösen wird nie und nimmer vergeben. Sie finden kein Erbarmen. Der englische Titel wird diesem Anliegen des Films eher gerecht. „Unforgiven“ heißt er lapidar. Die Bösen ziehen immer den Kürzeren. Vergeben wird ihnen nie. Es gibt für sie kein Erbarmen, nur Gerechtigkeit.“
Die Gegengeschichte liefert das heutige Evangelium. Sie erzählt vom Erbarmen eines Vaters mit zwei verlorenen Söhnen. Der Vater ist dabei nach unserem Verständnis alles andere als gerecht. Zuerst gibt er dem einen Sohn das Erbe. Dieser verprasst es. Er landet bei den Schweinen: Fällt also moralisch so tief wie tiefer ein frommer Jude nicht fallen kann, der Schwein mit unrein verbindet. Der junge Mann hat also sein Leben buchstäblich „versaut“. Und trotzdem sehnt ihn sein Vater herbei, nimmt ihn in die Arme, feiert ein Fest und setzt ihn neuerlich in die Würde seines Sohnes ein. Er handelt in unserem Sinn nicht gerecht – obwohl er in einem tieferen Sinn des Wortes gerade so seinem Sohn in seiner unheilvollen Lage gerecht wird. Damit offenbart der Vater sein tiefes Wesen, seine „Wahrheit“ (um mit Papst Franziskus zu reden): Diese ist nicht unsere Gerechtigkeit. Die Wahrheit Gottes sind Erbarmen, Mitleiden, Einfühlen, dafür sorgen, dass Leben nicht umkommt, sondern aufkommt. Und er ist zudem einer, der sich genau darüber zutiefst freuen kann. „Denn mein Sohn war tot und lebt wieder“ – anéste lautet das griechische Wort und dieses steht für Auferstehung.
Dramatisch spitzt sich das Evangelium zu, als der andere Sohn ins Spiel kommt. Er denkt wie Nietzsche. Erbarmen ist für ihn unzulässig. Seine Maximen sind Wohlverhalten, Anstand, geordnetes Leben, Erfüllung der Gebote. Als Jesus sein Gleichnis erzählte, hatte er dabei die religiösen Führer seines Volkes vor sich. Ihnen gilt die Botschaft: Gott ist kein rechthaberischer vergeltender Richter, sondern ist in seinem Inneren, seinem rechem sagt die jüdische Theologie, seinem Mutterschoß also, lauteres Erbarmen.
Manche strenge Gesetzeshüter in der säkularen Welt, aber auch in unseren Kirchen, ja den Religionen aller Welt, gleichen dem zweiten Sohn. Dabei wollte gerade diese Jesus gewinnen, wie der Vater in seinem Gleichnis zu werden: randvoll mit Erbarmen. Das ist eine gute Nachricht für die Lebensumwegigen, denen Gott abgeht. Es ist aber eine Zumutung für jene, die mit Nietzsche erbarmungslos vom moralisch perfekten Übermenschen und einem mitleidlosen Richtergott träumen.