Von Andreas Kraß

Ein Herz und eine Seele

Die Geschichte der Männerfreundschaft ist eine Geschichte voller Missverständnisse, meint der Berliner Kulturwissenschaftler Andreas Kraß. Im Verlag S. Fischer hat er soeben eine knapp 500-seitiges Buch über Männerfreundschaft vorgelegt. Titel: "Ein Herz und eine Seele".

Kontext, 23.9.2016

In Gefühlsangelegenheiten kannten sich die Schlagerkomponisten schon immer aus, auch wenn man ihnen unterstellt, sie würden komplexe Zusammenhänge in geradezu verantwortungsloser Weise vereinfachen. Über die Liebe zum Beispiel kann man ein paar Reimchen zu einer einfachen Melodie dichten, man kann eine Madame Bovary schreiben oder tiefsinnig darüber philosophieren wie etwa Roland Barthes, Michel de Montaigne oder Niklas Luhmann. Am Ende aber ist der eine so klug wie der andere, weil sich der Begriff Liebe jeglicher Eindeutigkeit entzieht.

Um die Freundschaft ist es ähnlich bestellt, wobei sie, im Gegensatz zur Liebe, kein Gefühl ist, sondern ein Verhältnis zwischen Menschen bezeichnet – dem allerdings eine emotionale Bindung innewohnt. Der Grund, auf dem die Freundschaft blüht, ist die Liebe. Nun haben wir gelernt, dass Liebe und Freundschaft sich einander ausschließen. Das hat mit Begehren zu tun, mit Sexualität, mit Vertrauen und Misstrauen und was sonst noch alles im Spiel ist zwischen Liebenden. Freundschaft hingegen ist so etwas wie ein reglementiertes Liebesverhältnis. Wo eine Grenze gezogen wird, beim körperlichen Begehren etwa, erfährt das Vertrauen eine Aufwertung. Statt Sex zu haben geht man Pferde stehlen. In der Theorie jedenfalls.

Wenn man speziell über die Männerfreundschaft spricht, was im Kontext des Genderimperativs wie ein Anachronismus klingen mag, gerät man schnell aufs ideologische Glatteis, egal, von welcher Epoche man spricht. Die Männerfreundschaft ist ein starker Topos der Literatur, der sich seit Jahrtausenden unverändert durch die Ausblendung oder gar Ablehnung des Weiblichen definiert.

Service

Andreas Kraß, "Ein Herz und eine Seele. Geschichte der Männerfreundschaft", S. Fischer