Ein großer Unbekannter: Wolf Suschitzy ist tot
Der aus Wien gebürtige Kameramann, Dokumentarfilmer und Fotograf Wolf Suschitzky ist 104-jährig in seiner Wahlheimat London gestorben.
8. April 2017, 21:58

Wolf Suschitzky im Alter von 100 Jahren anlässlich einer ihm gewidmeten Retrospektive des Filmfestivals Viennale.
APA/HERBERT NEUBAUER
Legendär sind seine Fotoserie der Londoner Charing Cross Road sowie seine dokumentarischen Filmarbeiten. Während Wolf Suschitzky als einer der bedeutendsten Vertreter des britischen Dokumentarfilms und der Reportage- und Porträt-Fotografie galt, ist er in seiner Heimat Österreich nach wie vor relativ unbekannt.
Linke Wurzeln
Geboren wurde Wolfgang Suschitzky am 29. August 1912 in eine berühmte jüdische Familie: Sein Vater Wilhelm und sein Onkel Philipp Suschitzky hatten 1901 Wiens erste sozialistische Buchhandlung gegründet und später den auf sozialkritische Literatur spezialisierten "Anzengruber Verlag Brüder Suschitzky", der bis 1934 aufklärerische Schriften von Rosa Mayreder, Hugo Bettauer, David Josef Bach und dem Arbeiterdichter Alfons Petzold herausbrachte.
Somit war Wolf Suschitzky das soziale Engagement, zu dem er sich stets bekannte, in die Wiege gelegt. An der frühen britischen Dokumentarfilmbewegung schätzte er besonders, "dass sie es sich zum Ziel gesetzt hatte, Filme zum Wohl der Gesellschaft zu drehen". Bis zuletzt sah sich der Wahl-Londoner als überzeugter Sozialdemokrat.
Erste Schritte
Suschitzkys erstes berufliches Interesse galt den Tieren, ein Zoologiestudium scheiterte allerdings an mangelnden Lateinkenntnissen. Angeregt von seiner um vier Jahre älteren Schwester Edith Tudor-Hart, die die Fotografieklasse am Dessauer Bauhaus besucht hatte und ebenfalls eine wichtige Fotografin wurde, absolvierte er eine Fotoausbildung an der Höheren Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt in Wien.
Emigration und Verfolgung
1934 verließ er dann mit seiner späteren Frau Österreich und folgte seiner Schwester nach London. Suschitzkys Vater hatte sich das Leben genommen, nachdem man seine Buchhandlung ruiniert hatte. Sein Onkel und dessen Frau wurden später nach Auschwitz deportiert, seine Mutter überlebte im Ausland.
Von der Fotografie zum Film
Zunächst machte sich Suschitzky in London einen Namen als Fotoreporter, unter anderem mit eindringlichen Aufnahmen der Bergarbeitergebiete von Wales, die er zusammen mit seiner Schwester ablichtete. Seiner legendären Fotoserie der Charing Cross Road, in der sich fast alle Buchhandlungen Londons konzentrierten, verdankte er schließlich 1937 ein Engagement als Kameraassistent bei Paul Rotha, einem der Gründerväter des britischen Dokumentarfilms. Nach einer kriegsbedingten Arbeitspause im Filmbereich, in der er sich wieder der Fotografie widmete, stand er für Rothas "No Resting Place" 1950 erstmals für einen Spielfilm hinter der Kamera.
Umfassendes Dokumentarwerk
"Ich habe viel Glück gehabt", zeigte sich Suschitzky ebenso bescheiden wie versöhnlich in Alt-Wienerisch mit leichten angelsächsischen Einsprengseln, als ihn die österreichische Nachrichtenagentur APA anlässlich seines 100. Geburtstags 2012 in Wien interviewte.
Über seine Arbeitsweise sagte er in einem Ö1 Interview: „Ich war nie einer, der Sachen arrangiert hat, außer vielleicht bei Porträts, wenn ich gesagt habe: ‚Schauen Sie bitte in diese Richtung, oder so.’, aber ich habe nie etwas gestellt.“ Das gilt für das fotografische Oeuvre ebenso, wie für das filmische. Mit seinen Kameras ist er um die Welt gereist, nach Bali, Kamboscha, Kenia, Mexiko, Trinidad und Thailand. 200 Dokumentarfilme sind bei diesen Reisen entstanden. Suschitzky selbst sagte, er sei an Filmen interessiert gewesen, die für die Gesellschaft nützlich seien.
Erfolge im Spielfilm
In seiner Werkliste finden sich allerdings auch Filme wie der Gangsterklassiker "Get Carter" (1971) mit Michael Caine, der Oscar-prämierte Kurzfilm "The Bespoke Overcoat" (1956), der oscar-nominierte Kurzfilm "Snow" (1963) sowie die Joyce-Verfilmung "Ulysses" (1967), die ihm den Britischen Academy Award einbrachte.