Isabelle Huppert in "Alles was kommt"
"L'avenir", der jüngste Spielfilm der 1981 geborenen französischen Regisseurin und Schauspielerin Mia Hansen-Love, zeigt den inneren Wandel einer Frau im mittleren Alter (Isabelle Huppert), deren bürgerliche Welt sich im völligen Umbruch befindet. Zu sehen im Rahmen der Viennale und ab November regulär im österreichischen Kino.
11. Juli 2017, 02:00
Morgenjournal, 25.10.2016
Die beiden Kinder sind längst aus dem Haus und die verwirrte, exzentrische Mutter ist widerwillig auf dem Weg ins Altersheim, wo sie kurze Zeit später stirbt, als der Ehemann aus heiterem Himmel seinen Auszug ankündigt - er wolle mit seiner neuen Freundin zusammenleben, so der Angetraute. Plötzlich bleibt der Philosophielehrerin Nathalie nicht mehr als ihre Bücher, eine Erbschaft in Form einer dicken, schwarzen Katze namens Pandora und die Freundschaft zu ihrem ehemaligen Schüler Fabien.
Brillante Isabelle Huppert
Das ist nicht unbedingt ausreichend, um ein ganzes Leben zu füllen. Ja, es würde nicht einmal ausreichen, um einen ganzen Spielfilm zu füllen - wäre da nicht die Hauptdarstellerin Isabelle Huppert, die jeden Moment dieser fragilen, aber vor Selbstdisziplin strotzenden Figur in eine große filmische Geste verwandelt.
Autobiografisches Umfeld
Regisseurin Mia Hansen-Love pflegt Themen aus ihrem direkten Umfeld zu verfilmen, so auch diesmal, wie sie erzählt. "Man sagt immer, dass meine Filme autobiografisch sind, aber dieser Film ist der erste, der wirklich meine Welt zeigt: Meine beiden Eltern sind Philosophielehrer. Die Philosophie, das Denken und die Bücher bildeten also das Universum, in dem ich aufgewachsen bin."
Philosophie statt Realität
Hansen-Love zeichnet das Porträt einer Frau, die das Denken von Descartes und Rousseau weit über aktuelle Probleme stellt, und deren gutbürgerliche Lebenswelt nach und nach in sich zusammenbricht, während sie selbst "Alles was kommt" mit scheinbar stoischer Gelassenheit aufnimmt und meistert. "Es ist die Geschichte einer Frau, die ihre Kräfte aus dem Inneren schöpft und scheinbar nichts mehr von anderen erwartet", meint Hauptdarstellerin Huppert, "ich sehe darin eine Botschaft der Hoffnung. Die Antworten auf ihre Probleme kommen nicht von außen, sie sind in ihr selbst."
Die angesprochenen Probleme sind allerdings die einer wohlhabenden, gut situierten bürgerlichen Philosophin: Keine existenziellen Sorgen oder bedrohliche Krankheiten plagen sie, sondern lediglich der schrittweise Verlust ihrer gewohnten Lebenswelt, der sie nach außen hin stoisch, innerlich zerrüttet zurücklässt.
Nur seltene Momente, etwa ein Besuch bei der egomanischen, exzentrischen Mutter oder ein Gespräch mit ihrem ehemaligen Lieblingsschüler Fabien bringen die emotionale Erschütterung dieser Figur auch nach außen.
Silberner Bär für beste Regie
Diese Atmosphäre der Reglosigkeit und Distanziertheit spiegelt der Film auch in Schnitt und Ton wider. Leise und unmerklich folgt die Kamera der Protagonistin, unterbrochen wird der langsame Handlungsstrom lediglich von einigen gelungenen Wortwitzen oder mancher Situationskomik. Für ihren fünften Langfilm gewann Hansen-Love bei der diesjährigen Berlinale den Silbernen Bären für die beste Regie. Eine nicht ganz nachvollziehbare Entscheidung.