"Die Nacht der 1000 Stunden" im Kino

Virgil Widrich ist bekannt für seine Experimentierfreudigkeit mit dem Medium Film. In seinem neuen Werk wird eine dunkle Familiengeschichte im Genre eines Kriminalstücks aufgelöst - ein Vexierspiel mit der Zeit.

In Kurzfilmen wie dem 2002 Oscar-nominierten Werk "Copy Shop" oder dem 14-minütigem "Fast Film" - einem Trickfilm, in dem Einzelbilder aus Filmen zu Objekten gefaltet und erneut animiert wurden - hat der österreichische Regisseur seine formale Ambitionen bereits bewiesen. Diese sind auch in Widrichs neuen Spielefilm, "Die Nacht der 1000 Stunden", zu erkennen.

Die Nacht der 1000 Stunden

"Die Nacht der 1000 Stunden"
Regie: Virgil Widrich
Mit: Laurence Rupp, Amira Casar, Barbara Petritsch,
Elisabeth Rath, Linde Prelog

Thimfilm

Kulturjournal, 18.11.2016

Vexierspiel mit der Zeit

Da ist man mitten in einem Erbschaftsstreit und plötzlich sind sie alle wieder da: die Verstorbenen der letzten Generationen der Familie Ullich, einst ein Wiener Traditionsunternehmen im Bereich der Telefonherstellung. Freilich sorgt die Rückkehr der Vorfahren unter die Lebenden so dann unter den Lebenden für entsprechende Verwirrung.

Diesen dramaturgischen Kniff der Wiederauferstehung muss man als Kinozuseher erst einmal akzeptieren, also auch, dass man es hier nicht mit einer im Realismus verankerten Familiengeschichte zu tun hat, sondern mit einem Vexierspiel, das sich in Form eines Krimis und Kammerspiels auf die Suche nach einem Familiengeheimnis macht. Und hat man diese Prämisse akzeptiert, dann kann man sich auf ein lustvolles Spiel der Spekulationen einlassen, in dem vor allem auch ein Spiel mit der Zeit getrieben wird.

"Der Film handelt vom Aufeinanderprallen verschiedener Zeiten", so Regisseur Virgil Widrich. "Auf der Ebene der Idee gibt es für mich keine Zeit. Es gibt bestimmte Ideen, wie zum Beispiel den totalitären Traum und den libertären Traum, die einander schon seit vielen Jahrhunderten bekämpfen. Ich wollte zeigen, dass die Gesichter und die Zeiten sich zwar ändern, die Ideen einander aber ziemlich ähnlich sind."

Wie ehrlich sind die Toten?

Da treffen also Tochter und Mutter aufeinander, wobei die eigentlich Jüngere plötzlich die Altere ist; da weiß die nächste Generation nicht immer mehr als die vorherige, Wissensvorsprünge aber auch Defizite werden unter den Familienmitgliedern gegeneinander ausgespielt, um einer dunklen Wahrheit rund um den Selbstmord der Großmutter Renate in der Nazi-Zeit auf die Spur zu kommen.

"Es hat eine Weile gedauert, bis ich draufgekommen bin, dass sich die Form einer Detektivgeschichte für diesen Film sehr eignet", sagt Widrich. "Die Familie ist im Haus eingeschlossen, einer wurde ermordet; die Polizei kommt und ermittelt. Wenn alle Menschen aus der Vergangenheit wieder da sind, dann gibt es eigentlich keine Geheimnisse mehr, weil Zeugen aller Ereignisse da sind. Allerdings kann man nicht davon ausgehen, dass die Toten alle ehrlich sind."

Bis ins kleinstes Detail abgestimmt

Der Film schöpft seinen Mehrwert aus den Kontrasten, die durch die Reibung der verschiedenen Zeitebenen aneinander entstehen. Das Altmodische bringt das Modernere erst hervor und umgekehrt; auch in der Ausstattung und in den Kostümen, die je nach Epoche authentische gehalten sind.

Zusammengehalten wird das alles durch den Schauplatz: eine Wohnung, in der die Zeit wie stehen geblieben scheint. Nicht zuletzt passt Regisseur Widrich auch den Stil der Musik und seiner Inszenierung der jeweiligen Zeitebene an. Etwa am Beispiel der Hauptfigur, der von Amira Casar gespielten Großmutter Renate, die mit ihrer Frisur von Hedy Lamarr beeinflusst ist. Regisseur Widrich stimmt das Geschehen bis in kleinste Details ab und macht so seinen Film quasi auf einer Meta-Ebene auch zum visuellen Experimentierfeld für das Kino selbst.

Familienaufstellung löst Rätsel

Am Ende führt eine Art Familienaufstellung im Film "Die Nacht der 1000 Stunden" zum kriminalistischen Erfolg. Der Zuseher ist dabei stets zur aktiven Mitarbeit bei der Zusammensetzung eines geistigen, ideologischen und politischen Puzzles gefordert. Widrichs allzu exakte Komposition, die nichts dem Zufall überlässt, wirkt bisweilen aber angestrengt, das Schauspiel in seiner Anmutung theaterhaft. Ein Film, der zwar sein Rätsel löst, seine wahren Geheimnisse wohl erst im Verlauf wiederholter Betrachtung gänzlich Preis gibt.