Schreiben im Exil: Sergej Lebedew im Porträt
Der russische Autor Sergej Lebedew lebt derzeit als "Writer in Exile" in Graz. In seinen Romanen beschäftigt sich der 35-Jährige mit der Aufarbeitung der Stalinzeit, als Journalist ist er kritisch gegen Putin aufgetreten.
8. April 2017, 21:58
Beides hatte Folgen: Lebedews neuer Roman "Menschen im August" konnte in Russland zunächst nicht erscheinen, eine deutsche Übersetzung wurde jetzt publiziert.

Privat
Morgenjournal, 30.12.2016
Gesetz gegen "Fälschung der Geschichte"
Häftlingserinnerungen, Opferkarteien, Prozessunterlagen, Gulag-Spuren - seit bald drei Jahrzehnten bemüht sich Memorial um die Aufarbeitung der russischen Vergangenheit und wird deshalb seit einiger Zeit von russischen Behörden drangsaliert. Wenn Sergej Lebedew in seinen Romanen das gleiche tut, hat das ebenfalls Konsequenzen.
"Es gibt in Russland ein seltsames Gesetz, das so genannte 'Gesetz gegen die Fälschung der Geschichte'. Wenn ich zum Beispiel in einem Buch über die Verbrechen der Roten Armee in Deutschland schreibe und ein Leser mich anzeigt, dann werde nicht nur ich zur Verantwortung gezogen, sondern auch mein Verlag und die Strafen sind da sehr, sehr hoch. Deshalb überlegen es sich die Verleger drei Mal, bevor sie ein Buch veröffentlichen, in dem es um Geschichte geht."
Auf den Spuren des Großvaters
Jahrelang hat Sergej Lebedew in seiner Heimat einen Verlag gesucht. Geklappt hat es dann erst in Deutschland, bei S. Fischer. "Der Himmel auf ihren Schultern" heißt sein Roman und da reist ein junger Mann auf den Spuren seines Großvaters zu den Gulags der Stalinzeit. - Spuren, auf die Sergej Lebedew selbst als Jugendlicher gestoßen war.
1981 in Moskau geboren, war er mit seinen Eltern, beide Geologen, auf Expeditionen im Norden Russlands unterwegs, er hat die Reste und Ruinen sowjetischer Lager gesehen und begonnen zu recherchieren.
"Kein Denkmal, nur Ruinen und vermodertes Holz"
"Als diese Gulags in den 60er Jahren geschlossen wurden, haben die Menschen diese Orte einfach verlassen. Da gibt es kein Denkmal, gar nichts, man sieht nur Ruinen und das vermoderte Holz der Baracken. Es ist seltsam - Mitte der 90er Jahre, als die große Wende angesagt war, dieses 'nie wieder', da wollte gleichzeitig keiner etwas von diesen Gulags hören." Auch in seiner Familie, sagt Sergej Lebedew, sei lange geschwiegen worden.
"Bei meiner Großmutter habe ich Dokumente meines Großvaters gefunden und erfahren, dass er Kommandant eines stalinistischen Lagers war. Ich war total geschockt. Ich wusste: Großvater war Hauptmann der Roten Armee und er hat in Stalingrad gekämpft. Er war der große sowjetische Held. Und in meiner Kindheit in den 80er Jahren, habe ich mich mehr als Enkel des Großvaters gesehen, denn als Sohn meiner Eltern. Niemand hat mir gesagt, dass dieser geliebte Großvater ein Mörder war."
"Stalin steht wieder hoch im Kurs"
Um die Vergangenheit zu verstehen, habe er einen weiteren Roman geschrieben, sagt Sergej Lebedew. "Menschen im August" heißt diese Zeitreise in die so genannten "Strafzonen des Schweigens". Schweigen, erklärt er, sei Teil der sowjetischen Kultur und die habe bis heute überdauert. Stalin stehe in Russland wieder hoch im Kurs.
"Diese Sowjetnostalgie ist eine Vernebelungsstrategie. Ich glaube nicht, dass die Regierenden wirklich wieder die Sowjetunion errichten wollen. Aber sie brauchen etwas um ihr korruptes, kriminelles Regime zu verdecken", sagt Sergej Lebedew und er fügt hinzu: "Wer gegen die Idealisierung des Stalinismus opponiert, ist im Russland von heute nicht erwünscht."
Service
Sergej Lebedew, "Menschen im August", Roman, S. Fischer